Zellchips statt rasierter Tierhaut

Die Zahl der Tierversuche in der EU wird zunehmen, befürchtet Bundesverbraucherministerin Renate Künast. Bislang landen rund zehn Millionen Tiere pro Jahr in den Labors. Auf einem Kongress in Berlin stellen Wissenschaftler Alternativen dazu vor

AUS BERLIN SUSANNE GÖTZE

Zukünftig werden noch mehr Tiere als bisher in Laboren der Europäischen Union Opfer von wissenschaftlichen Experimenten. Das zumindest befürchtet Bundesverbraucherministerin Renate Künast. Hintergrund ist die Chemikalienrichtlinie REACH. Die von der EU-Kommission entworfene Richtlinie sieht vor, 30.000 Altstoffe auf ihre Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit zu prüfen. Auf Tierversuche könnte dabei nicht verzichtet werden, erklärte Künast auf der Eröffnung des 5. Weltkongresses über Alternativen zu Tierversuchen in Berlin. Rund 850 Teilnehmer aus aller Welt diskutieren bis Donnerstag über Innovationen, die Tierversuche irgendwann überflüssig machen sollen.

Die Wissenschaftler arbeiten dabei nach dem 3-R-Prinzip: Replace, Reduce, Refine, was so viel bedeutet wie: auf Tierversuche verzichten, die Zahl der Tiere vermindern und Leiden sowie Schäden von Versuchstieren zu minimieren. Denn allein in der EU werden jedes Jahr über 10 Millionen Tiere zu Tierversuchen „verwendet“ – Ratten, Katzen, Primaten. Tierversuche gelten besonders im Bereich der Medizin als unerlässlich. Bei der Entwicklung von „Luxusgütern“ wie beispielsweise Kosmetika hingegen ist auf Druck der Tierschutzverbände 2003 die EU-Kosmetikverordnung verschärft worden. Bis 2015 sollen Tierversuche für Kosmetik und deren Inhaltsstoffe verboten sein. Das deutsche Tierschutzgesetz untersagt zwar schon seit 1998 Tierversuche für die Entwicklung von Kosmetika, wenn jedoch neue Inhaltsstoffe für kosmetische Mittel auf den Markt kommen, müssen trotzdem so genannte Sicherheitsprüfungen vorgenommen werden. Und dafür sind noch immer Tierversuche vorgeschrieben.

Um solche Experimente nachhaltig einzudämmen, muss noch viel geforscht werden. Eine aktuell diskutierte „Alternativmethode“ zu Tierversuchen, die auch auf dem Kongress vorgestellt wird, ist die Verwendung von menschlichen Zellkulturen. So gibt es mittlerweile „Anbieter“ von menschlichen Hautfetzen, die anstelle der Tiere verwendet werden können. „Statt dem Kaninchen das Fell zu rasieren und ihm den Versuchsstoff aufzuträufeln, kann man genauso gut Hautausschnitte verwenden, um die Sensibilität zu messen“, erklärte Horst Spielmann, Leiter der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zu Tierversuchen.

Die Idee kann vielfältige Anwendung finden. Das Rostocker Forschungsinstitut Bionas zeigt auf dem Kongress beispielsweise, wie auf einem winzigen Siliziumchip Zellkulturen gezüchtet werden. Gibt man die zu testenden Wirkstoffe hinzu, kann mit Hilfe von Messgeräten die Veränderung der Zellkultur gemessen werden. Anwendung kann das „Hautmodell“ in der Toxikologie, zur Entwicklung von Arzneimitteln und Kosmetika finden.

Neben Wissenschaftlern nutzen auch Tierschutzorganisationen den Kongress als Plattform. Sie verabschiedeten am gestrigen Eröffnungstag eine Resolution, in der sie forderten, Versuche an Primatenaffen in der biomedizinischen Forschung und bei Kosmetiktests zu verbieten. Unterstützt wurden die Tierschützer von der legendären Affenforscherin Jane Goodall, die zu „mehr Mitleid mit den Tieren “ aufforderte. „Es gibt noch viele Probleme zu lösen, bis wir den Tieren wieder in die Augen sehen können.“