Friedhöfe öffnen sich für Gartenprojekte: Totenruhe und Bio-Tomaten

Die Prinzessinengärten ziehen auf einen verfallenden Friedhof nach Neukölln um und sind dort Ruhestätte und Gemeinschaftsgarten zugleich.

Ein Mann mit Mütze lehnt an einem Hochbeet mit Gemüse und lächelt

Will gerne bis zum Ruhestand einen Friedhof zum Prinzessinengarten machen: Robert Shaw Foto: André Wunstorf

BERLIN taz | Robert Shaw sieht zufrieden aus. Er dreht sich eine Zigarette, hockt auf einem Baumstumpf mit Blick auf die nicht mehr ganz preußisch akkurate und etwas windschiefe Platanenallee des St.-Jacobi-Friedhofs in Neukölln. Wenn alles gut läuft, kann er mit dem Urban-Gardening-Projekt „Prinzessinnengärten“ für mindestens 30 Jahre hier bleiben. Ein Traum sei das. Er wäre dann über 70 Jahre alt. „Friedhöfe“, so Shaw, „sind eine Riesenüberraschung!“

Große Teile der innerstädtischen Friedhöfe liegen infolge klammer Bezirke und Friedhofsverwaltungen brach. Die Eigentümerinnen wandelten aber nur etwa zehn Prozent davon in Bauland und Grünflächen um – was mit dem Rest passieren soll, wisse keiner, so Shaw. „Eine Lösung, von der beide Seiten profitieren, sind Gartenprojekte wie wir.“

Die Prinzessinnengärten vom Moritzplatz, die auf der Suche nach einer neuen Fläche waren, haben sich mit der evangelischen Friedhofsverwaltung vom Jacobi darauf geeinigt, noch bestehende Gräber, den Friedhof und die Natur zu pflegen – und nutzen im Gegenzug den unbelegten und brachliegenden hinteren Teil des Friedhofs als Gemeinschaftsgarten. Der Modellversuch ist gefördert von dem Berliner Programm für Nachhaltige Entwicklung (Bene).

Ungeheure Möglichkeiten

„Wir freuen uns sehr über den neuen Standort: Hier gibt es gewachsene Natur, einen Friedhof im Umbruch, und wir haben Perspektive. Wir haben hier 70.000 Quadratmeter – das bietet uns ganz ungeheure Möglichkeiten“, sagt Shaw. Ideen gibt es viele: Umweltbildungsflächen für Kitas und Schulen, ein Workshop für Steinbildhauerei, der alte und verfallene Grabsteine zu Kunst recyceln soll, ein Treffpunkt für „Solawi“ – biovegane solidarische Landwirtschaft, und es gibt bereits Hochbeete, ein Café und einen Gießkannenverleih.

Dazu sollen bald tatsächlich aus der Friedhofserde Neuköllner Bio-Tomaten wachsen. „Wir haben Bodenproben machen lassen: Anbau in Bio-Qualität müsste gehen – dafür allein haben wir 5.000 Quadratmeter. Das ist schon fast das, was manch kleiner Bio-Hof in Brandenburg hat.“

220 Friedhöfe gibt es in Berlin, davon 117 evangelische, 84 landeseigene, 9 katholische sowie jüdische, britische, islamische, russisch-orthodoxe und sonstige.

1.105 Hektar nehmen die Friedhöfe ein, das entspricht dreimal dem Tempelhofer Feld.

Auf 38 Friedhöfen wird nicht mehr bestattet, 182 Friedhöfe sind regulär geöffnet. (gjo)

Tatsächlich liegen viele Friedhofsflächen brach, wie auch May Buschke von Stattgrün bestätigt. Sie hat im Auftrag für den Evangelischen Friedhofsverband das Projekt vorangetrieben. Nur ein Viertel seiner Flächen könne die Kirche wirtschaftlich betreiben. Ein veränderte Friedhofskultur seit den 1980ern sorge dafür, dass immer mehr Menschen sich für günstigere und weniger pflege-intensive Beisetzungen entschieden. Urnen brauchen weniger Platz als Särge und kosten weniger – in der Folge gebe es zu wenig Geld zur Bewirtschaftung verfallender Friedhöfe.

„Die Not ist groß, der Verband kann nicht anders, als über Umnutzungen nachzudenken oder Flächen zu verkaufen“, so Buschke. Im evaluierten Friedhofsentwicklungsplan sei vorgesehen, dass etwa ein Viertel der Flächen in Berlin auf lange Sicht umgenutzt werden könnten. Bei einer Gesamtfläche von 1.200 Hektar wäre das immerhin eine Fläche von 300 Hektar. Zum Vergleich: Das Tempelhofer Feld ist 303 Hektar groß.

Drogenabhängige und unangeleinte Hunde

Die Zusammenarbeit mit den Prinzessinnengärten sei eine besonders spannende Sache, weil auch noch viele Trauernde auf den Friedhof kämen. Es sei nicht nur eine grüne Umnutzung, wie es schon einige gebe, sondern eben eine richtige Übernahme, sagt Buschke: „Es ist eine Besonderheit, dass der Friedhof für neue Begräbnisse zwar geschlossen ist, aber noch viele Gräber da sind – die auch zum Teil noch bis zu 20 Jahren Gräber bleiben werden.“

Der Friedhofsverband wolle in Neukölln ausprobieren, ob ein Nachbarschaftsgarten und Umweltbildungsflächen auf Friedhöfen auch von Grab­besucher*innen angenommen würden – auch mit Blick auf andere Standorte: „Es ist wirklich für Gesamtberlin ein großes Thema“, sagt Buschke.

Im Wesentlichen sei der Rücklauf – die Kooperation begann im Juni vergangenen Jahres – positiv. Zuvor hätten viele Grabbesucher sich eher am Verfall des Jacobi-Friedhofs gestört, ein Problem seien neben Verfall auch in unmittelbarer Nähe zur U8 Drogenabhängige und unangeleinte Hunde gewesen. „Es gibt immer ein bis zwei, die meckern, aber es wird von den meisten als Verbesserung angenommen“, sagt Buschke.

Auch Kieznachbarn fänden das Projekt toll. Das liege auch daran, dass sich die Prin­zes­sinnengärtner*innen so gut auf Vor-Ort-Bedürfnisse einließen. Obwohl die Probelaufzeit noch bis zum nächsten Jahr gehe, betrachtet Buschke das Modell schon jetzt als geglückt. Nun gelte es herauszufinden, ob das auch an anderen Orten funktio­nieren könne. Gespräche für ähnliche Projekte liefen bereits mit Gartenprojekten in Mitte und Reinickendorf.

Die Frei- und Grünfläche am Moritzplatz soll trotz des Umzugs der Prinzessinnengärten Ende 2019 erhalten bleiben. Man kümmere sich um die Übergabe an den Nachfolgeverein Common Grounds. Die Prin­zes­sinnengärtner*innen sind froh über den Umzug: „Der Moritzplatz wurde zu eng“, sagt Shaw. Der enorme Bekanntheitsgrad der Prinzessinengärten habe das Gärtnern schwierig gemacht. „Zuletzt war es am Moritzplatz manchmal eher wie in einem touristischen Biergarten als in einem kollektiven Gemeinschaftsprojekt. Wir hatten täglich bis zu 800 Besucher.“

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