NETZ UND GEDÄCHTNIS
: Ritchie ist zurück

Ich klicke auf „Kontakt bestätigen“

Neulich war es mal wieder so weit, dass sich eine gelöscht geglaubte Festplatte der Erinnerung zurückgemeldet hat. Ein Datum im Kalender, der automatische Gedanke: Heute hat doch die Soundso Geburtstag! Eine ehemalige Mitschülerin, die ich seit 15 Jahren nicht mehr gesehen habe.

Die damals so wichtige Peer Group spukt immer noch im Kopf herum. Menschen, mit denen man sechs Jahre lang in dieselbe Klasse gegangen ist, prägen einen. Wir wurden mit zehn Jahren zu einer Schicksalsgemeinschaft gegen Lehrer und die kommende Pubertät zusammengefügt, die ich erst mit 16 verließ, um meinem nun selbst gewählten Schicksal Auslandsjahr entgegenzueilen. Als ich wiederkam, wollte ich vieles anders machen, anders sein, und ging auf ein anderes Gymnasium am anderen Ende der Stadt.

Vor einem halben Leben haben sich unsere Wege getrennt, trotzdem kann ich ihre Gesten vor mir sehen, die pubertären Anwandlungen und Sitzpositionen im Unterricht, ihre Eigenheiten. Eine Mail im Postfach, von Xing: Richard S. will mit Ihnen Kontakt aufnehmen! Wer ist das? Dann: na klar, Ritchie! Der entzückend schüchterne Rothaarige, der als Erster auf den Geschmack von HipHop und Arrested Development kam. Der beim Stehblues-Tanzen immer irres Herzklopfen hatte, der als einer der Ersten einen Computer und die Spiele dazu hatte. Was ist er geworden? Informatiker. Passt.

Ich suche in seinen Kontakten unsere alten Mitschüler. Es ist wie diese Werbung von Welt kompakt, die Politiker- mit Babygesichtern verschmilzt: Die damals Zwölfjährigen schauen einem aus dem Gesicht eines Mannes, einer Frau entgegen. Eindeutig erkennbar, aber verfremdet durch das Erwachsensein. Seltsam vertraut. Ich klicke auf „Kontakt bestätigen“. Denke: Nun werde ich die endgültig nicht mehr los. Und: Festplatten sind doch langlebiger als gedacht.

MIRIAM JANKE