Die ganze reale Kälte

In Braunschweig meiden manche Obdachlose trotz Kälte städtische Unterkünfte. Die Linke wirft der SPD vor, Standards zu unterlaufen

Von Reimar Paul

In Braunschweig ist die Obdachlosigkeit zum Streitthema von SPD und Linken geworden. „SPD lehnt Mindeststandards bei Wohnungslosenunterkünften ab“, überschrieb die Linksfraktion im Stadtrat Anfang der Woche eine Pressemitteilung. Die SPD hätte einen von den Linken eingebrachten Antrag abgelehnt, mit dem Mindestanforderungen für die städtischen Wohnungslosenunterkünfte festgelegt werden sollten. Die SPD weist die Vorwürfe zurück.

Auslöser für den Antrag, der am 17. Januar im Ausschuss für Gesundheit und Soziales besprochen wurde und am 12. Februar auf der Tagesordnung der Ratssitzung steht, war eine Begehung der Sammelunterkunft „An der Horst“ in der Braunschweiger Weststadt durch das örtliche Bündnis für Wohnen. Dabei seien „zum Teil unhaltbare Zustände festgestellt“ worden, so die Linke.

Nachdem die Linken ihren Antrag einreichten, seien zwar Verbesserungen vorgenommen worden, vieles sei aber weiter mangelhaft. So gebe es in dem von mehr als 50 Menschen bewohnten Heim keinen Gemeinschaftsraum. Ebenso fehlten Verdunkelungen an den Fenstern, Abfallbehälter und Backöfen. Ess- und Kochgeschirr gebe es nur gegen Spenden. „Es fehlen eine ausreichende Betreuung und auch eine tägliche Reinigung“, so die Linksfraktion. „Die Gebühren von 10 Euro pro Tag dürften dagegen zu den höchsten in der Bundesrepublik gehören.“

In ihrem Antrag erhebt die Linksfraktion 19 konkrete Forderungen. Sie reichen von eigenen Bettstellen für jeden Bewohner bis zu ausreichender Ausstattung der Küchen. „Grundsätzlich sind in den Küchen für jeweils 10 Bewohner mindestens vier funktionierende Herdkochplatten mit einer Backröhre sowie eine Spüle zur Verfügung zu stellen“, heißt es etwa. Oder: „Ungeziefer und Schädlinge sind nach Auftreten unverzüglich durch eine zugelassene Fachfirma zu beseitigen.“

Im Ausschuss wurde der Antrag mit den Stimmen der SPD abgelehnt, die CDU enthielt sich, außer der Linken stimmte nur die Bürgerinitiative Braunschweig dafür. Das Gremium beschloss stattdessen eine Überarbeitung der Satzung aus dem Jahr 2004.

„Die SPD ist immer vorne mit dabei, wenn es darum geht, sich in Sonntagsreden oder vor auserlesenem Publikum als soziale Partei darzustellen“, sagte Linken-Ratsfrau Gisela Ohnesorge. „Wenn es aber darum geht, das Leben für die Ärmsten etwas erträglicher zu machen, dann lehnt sie das ab.“ Wenn Wohnungslose auch bei der derzeitigen Kältewelle lieber draußen schliefen als die städtischen Unterkünfte zu nutzen, könne das auch etwas mit den fehlenden Mindeststandards zu tun haben.

Die Vermeidung von Wohnungslosigkeit habe für ihre Partei Priorität, sagte hingegen SPD-Ratsfrau und Vorsitzende des Sozialausschusses, Annette Schütze, zur taz. Komme es dennoch dazu, müsse für eine angemessene Unterkunft gesorgt werden. „Wir haben die gebotenen Standards grundsätzlich immer im Blick und würden es nicht zulassen, wenn diese nicht eingehalten würden.“

Die Linke zeichne „das sachlich falsche Bild einer Braunschweiger Notunterkunft, in der vermeintlich menschenunwürdige Zustände herrschen“. Für Mitarbeiter der Unterkunft sei dies ein Schlag ins Gesicht. Die Kritik an fehlenden Mülleimern in den Zimmern oder der Forderung nach Backöfen in der Gemeinschaftsküche zeige die Realitätsferne der Linken, so Schütze. Die in dem Antrag der Linken aufgeführten Punkte werden entweder bereits erfüllt oder seien nach den Erfahrungen der Sozialarbeiter*innen im Alltag nicht umsetzbar – „daher haben wir den Antrag auch abgelehnt“.

„Sich das Schicksal der Wohnungslosen dennoch in dieser Form politisch zu eigen zu machen, um billige Stimmung gegen die SPD zu machen, lässt uns kopfschüttelnd zurück“, sagt Schütze. Während sich die SPD die Mühe mache, Realität und Angemessenheit in Einklang zu bringen, habe die Linke mit ihrer pauschalen Blockadehaltung in den vergangenen Haushaltsberatungen auch soziale Projekte massiv gefährdet: „Wer es wirklich gut mit den Menschen meint, versucht ernsthaft zu gestalten und tappt nicht in die Populismusfalle.“