wortwechsel
: „Meine Mutter war eine Unerwünschte“

Nachkommen „ausgebürgerter“ Deutscher der NS-Zeit werden oft nicht als „Deutsche“ anerkannt. Strukturelle Gewalt? Was treibt die Bürokratie heute? Welches Erbe bleibt – wem?

1939, Passagierschiff „S.S. President Harding“: Jüdische Kinder aus Wien in der Hafeneinfahrt von New York. Amerikanische Familien waren bereit, sie zu adoptieren Foto: DIZ/ullstein bild

„Ausgebürgert bleibt ausgebürgert“,

taz vom 14. 1. 19

Ein „Verwickel-Netz“

Vielen Dank für den ausgezeichneten Bericht von Daniel Zylbersztajn, Pascal Beucker und Christian Rath, der einige Tücken offen legt, die Kinder von verfolgten deutschen Frauen erleben, wenn sie einen Antrag auf Einbürgerung als deutsche Staatsangehörige stellen. Im Juni 1937 wurde meine Mutter brieflich aufgefordert, sich mit ihrem deutschen Pass zum Verhör bei der Gestapo am Alexanderplatz vorzustellen. Der Pass wurde ihr sofort abgenommen. Es wurde ihr befohlen, sich auf der Stelle zu entscheiden, entweder in ein Erziehungslager zu kommen oder binnen zwei Wochen Deutschland für immer zu verlassen. Sie traf die Wahl, zu gehen. Ab dem 7. Dezember 1937 wurde sie staatenlos und blieb es bis nach meiner Geburt im Dezember 1946. Meine Mutter war eine Unerwünschte. Im November 2007 stellte ich einen Antrag auf Einbürgerung an das Bundesverwaltungsamt.

Inzwischen ist in Deutschland sehr viel an Vergangenheitsbewältigung erreicht worden. Aber angesichts der Kinder verfolgter deutscher Frauen scheint der Staat seine Verantwortlichkeit hinter einem Dornröschen-artigen „Verwickel-Netz“ von veralteten, grundgesetzwidrigen Gesetzen, fadenscheinigen Argumenten und Ungereimtheiten zu verstecken. Es ist höchste Zeit, dass der Staat die Beseitigung noch bestehender Nachteile durchsetzt. Gesetze müssen schnellstens erlassen werden, so dass die Kinder und Enkelkinder verfolgter ehemalig deutscher Staatsbürgerinnen als Deutsche anerkannt und willkommen geheißen werden, der Weg zu ihrer Einbürgerung geglättet wird – wenn für diese deutschen Abkömmlinge Deutschland nicht fortan als Diskrimi-Nation gelten soll.

PS: Ich bin Mitglied der „Article 116 Exclusions Group,“ die sich geformt hat, um den deutschen Gesetzgeber dazu zu bewegen, noch bestehende verfassungswidrige Gesetze, die zu Exklusionen und Diskriminierung gegen die Nachkommen von im Dritten Reich verfolgten deutschen Staatsbürgern führen, zu beseitigen beziehungsweise verfassungsgemäß neu zu fassen. Die Gruppe hat ihren Hauptsitz in London. Eine Website wird bald aktiv.

Katherine Scott, Vineyard Haven,

Massachusetts, USA

Humanität?

Was passiert denn, wenn die Behörde „falsch“, also nicht gesetzestreu, die Einbürgerung doch ausstellt? Mit dem Hinweis auf Humanität und eine inhaltlich vom Gesetzgeber nicht gewollte Gesetzeslücke? Ericb auf taz.de

Die alten Lügen

„Eine moralische Verpflichtung“,

taz vom 1. 2. 19

Noch kurz vor dem „Historikerstreit“, bei dem Ernst Nolte behauptete, Hitlers Vernichtungskrieg im Osten sei bloß eine Verteidigungsreaktion, eine Art Präventivkrieg gegen Stalins bereits vorher begonnene kommunistische Gräuel gewesen und der Gulag ursprünglicher als ­Auschwitz, also noch vor diesem heftigen Streit in Deutschland durfte bei einer Einladung zum Abendessen Saul Friedländer Ernst Nolte erleben, der ihm gegenüber behauptete, das Weltjudentum hätte sich mit Hitlerdeutschland im Krieg befunden und Hitler hätte sich somit im Recht gewähnt, die Juden als Kriegsgefangene zu internieren. Saul Friedländer hat wohl zu Recht empört die Örtlichkeit verlassen.

Michael Riese, Ahlsfeld

Nicht teilbar

„Antifa ohne Faschismus“,

taz vom 31. 1. 19

Vorab die Worte des ehemaligen KZ-Häftlings und Kommunisten Jorge Semprún: „Vor allem Westeuropäer müssen aber auch lernen, die faktische Interaktion von Nationalsozialismus und Stalinismus in der Region, die der Historiker Timothy Synder als ‚Bloodlands‘ bezeichnet, anzuerkennen und zu verstehen, wie beide totalitäre Regime in einer Art antagonistischen Kooperation verbunden waren und sich wechselseitig radikalisierten. Zwischen dem Hungertod von Millionen von Ukrainern und dem Holocaust, zwischen den Massendeportationen Stalins und der Vernichtung durch Arbeit in den NS-Lagern … besteht damit ein komplexer innerer Zusammenhang.“

Ich teile die Werte von Silke Mertins und Bettina Gaus in der „taz-Debatte politische Gewalt“. Die Menschenwürde ist eben nicht teilbar. Sie gilt für Mörder, Täter im Umfeld des 11. September oder Angehörige politisch extremistischer Parteien. Manchem Antifa-Aktivisten würde es sicher guttun, sich selbst einmal infrage zu stellen. Die Geschichte des Antifaschismus der 20er und 30er Jahre ist voller Widersprüche. „Die“ Antifa gab es nie. Zur Antifa gehört auch die Instrumentalisierung durch die Machthaber in der Sowjetunion. Die Antifa sollte zur gezielten Destabilisierung moderner Demokratien in Westeuropa eingesetzt werden. In Deutschland waren die Hauptfeind die SPD und die Weimarer Verfassung. Zum Sturz des verhassten Demokratiesystems wurden auch temporäre Bündnisse mit der NSDAP geschlossen. Wer sich heute auf Twitter über eine schwere Kopfverletzung eines AfD-Politikers freut, tritt die Menschenwürde mit Füßen und wird so selber zum Faschisten.

Markus Erich-Delattre, Hamburg

Hungerstreik USA

„Oppositioneller im Hungerstreik“,

taz vom 30. 1. 19

Ich verstehe nicht, warum Sie dem weitaus größeren und brutaleren Hungerstreik in den USA nicht mindestens ebenso viel Platz als Meldung widmen. Im Gegensatz zu der einen Person in der Türkei, die zumindest in den Hungerstreik treten darf, zwingen die USA zwischen sechs und dreißig hungerstreikenden Migranten Nahrung durch die Nase, zum Beispiel in Texas. Diese in Guantánamo und den von der CIA geführten Geheimgefängnissen in Europa perfektionierte Praxis wird als Folter angesehen und von der American Medical Association verboten. Das Time Magazin spricht von Nasenbluten und mehrmals täglichem Erbrechen.

David Auerbach, Wangen im Allgäu