Die Bewährungsprobe

Nach dem Abzug der Israelis muss Palästinenserchef Abbas beweisen, dass er in Gaza die Kontrolle übernehmen kann

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Mit dem israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen rückt Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ins internationale Scheinwerferlicht. Israel hat einen Vorschuss geliefert, nun sind die Palästinenser an der Reihe, ihren Part zu erfüllen. Gelingt es Abbas, den Gaza-Streifen so weit zu beruhigen, dass vor allem die Übergriffe auf Israel aufhören, wird der internationale Druck auf Jerusalem, weitere Konzessionen im Westjordanland zu leisten, wachsen. Gelingt es ihm nicht, verliert die Intifada, die auf das Ende der Besetzung abzielte, ihre Legitimation.

Die Besetzung besänftigte die innerpalästinensischen Auseinandersetzungen. Solange der Feind vor der Tür steht, muss der Familienzwist warten. Dass es gerade in den letzten Wochen zu militanten Auseinandersetzungen zwischen der islamistischen Hamas und der säkularen Fatah von Palästinenserchef Abbas, aber auch innerhalb der Fatah selbst kam, ist kein Zufall. Mit der bevorstehenden Autonomie im Gaza-Streifen spitzt sich der interne Machtkampf zu.

Für Ende Januar 2006 sind palästinensische Parlamentswahlen geplant. Entscheidend für das Votum nahezu aller Palästinenser wird ihre persönliche Situation sein. Der Abzug aus Gaza an sich spielt eine so geringe Rolle, dass das Palästinensische Zentrum für öffentliche Meinung ihn bei den letzten Umfragen im August gar nicht erst erwähnte.

Präsident Abbas fürchtet, dass der Gaza-Streifen zu „einem großen Gefängnis“ werden könnte, dass die Israelis die Siedler herausholen und dann die Tore hinter sich schließen. Folgen wären die Verschlimmerung der wirtschaftlichen Not, wachsende Arbeitslosigkeit und Armut – alles ein Ansporn, sich den islamisch-extremistischen Gruppen anzuschließen. Umgekehrt birgt der Abzug aber auch die Chance, neue Investoren anzulocken und das Wachstum anzuspornen. Voraussetzung wäre dann wiederum, nicht nur die Militaristen unter Kontrolle zu bekommen, sondern auch die Korruption in den Führungsreihen.

Die Palästinenser sind überzeugt, dass der militante Widerstand die israelische Armee zum Abzug zwang. Nicht nur für die Hamas ist die logische Folgerung, dass der Kampf jetzt im Westjordanland fortgesetzt werden muss. Aus den Führungsreihen der Fatah sind ähnliche Standpunkte zu vernehmen. Dass die palästinensischen Oppositionsgruppen in Dschenin und Hebron wieder mit dem Terror beginnen, ist mithin nur eine Frage der Zeit.

Die USA drängen auf eine schnelle Rückkehr an den Verhandlungstisch und die Umsetzung des internationalen Friedensplans, der so genannten Roadmap. Problematisch ist, dass sich Israels Premier im Sommer vor zwei Jahren schriftlich zwar verpflichtete, den Siedlungsbau einzustellen. In der eigenen Regierung treibt er jedoch genau das Gegenteil voran. Problematisch ist weiter, dass es vermutlich auch in Israel in den kommenden Monaten zu Neuwahlen kommt. Damit erübrigen sich vorläufig politische Verhandlungen.

Der Ausgang der Wahlen auf beiden Seiten hat überragende Bedeutung. Bei den Palästinensern führt die Fatah nach aktuellen Umfragen mit gut 10 Prozent vor der Hamas. Auf israelischer Seite hingegen sind sämtliche Optionen offen. Sollte Ariel Scharon erneut – diesmal als Chef einer Likud-Splitterpartei oder einer neuen Liste der Mitte – das Rennen machen, wären weitere einseitige Schritte denkbar. Vizepremier Ehud Olmert drängt schon auf den Abzug von 50.000 Siedlern. Die Palästinenser lehnen zwar einseitige Maßnahmen ab, doch weiteren Evakuierungen werden sie sich kaum in den Weg stellen.

Bessere Chancen auf bilaterale Verhandlungen hätte Abbas, wenn sich Schimon Peres, Präsident der Arbeitspartei und Partner aus Osloer Zeiten, durchsetzt. Vielleicht macht aber Exfinanzminister Benjamin Netanjahu das Rennen. Für die Palästinenser eventuell von Vorteil: Nicht zum ersten Mal gäbe der Erzkonservative, der den Gaza-Abzug ablehnte und deshalb sein Amt aufgab und im Likud zurzeit beste Chancen hat, internationalem Druck nach.