Offener Brief an französische Regierung: Sie treten auf der Stelle

Ein offener Brief von 250 Intellektuellen an die Regierung des französischen Präsidenten Macron zeigt: Es gibt wenig Bewegung bei den Gelbwesten.

Ein Mann läuft vor einer Wand mit Graffiti entlang, darauf Gelbwesten und eine Frau mit französischer Fahne

Ist der Gelbwesten-Protest zum Gemälde erstarrt? Foto: ap

BERLIN taz | Die Proteste der Gelbwesten in Frankreich gehen weiter. Am Wochenende waren es etwa 84.000 Menschen in verschiedenen Städten, die gegen die Reformpläne und den Kurs der Macron-Regierung demonstriert haben. Am Montag hat Macron sich in einem Brief an die Nation gewandt und den Protestierenden kollektive Sprechstunden angeboten. Eine große nationale Debatte strebe er an, heißt es darin: „Lasst uns über alles reden“.

Macron benennt in dem Brief vier Großthemen – Steuern, Organsiation des Staates, Ökologie und Migration/Integration – und stellt konkrete Fragen: „Sollen zufällig ausgewählte Bürger, etwa über eine Lotterie, an der politischen Entscheidungsfindung teilnehmen? Sollen die Möglichkeiten von Volksabstimmungen erweitert werden? Soll das Parlament eine Obergrenze für Asylgesuche festlegen?“ usw. Bis zum 15. März soll der grand débat laufen.

Bereits am Wochenende hatten sich 250 Wissenschaftler*innen verschiedener Universitäten in einem offenen Brief mit den Gelbwesten solidarisiert. Darin heißt es, der Staat habe den Weg der polizeilichen und gerichtlichen Repression gewählt. Weiter heißt es, um die Politik der brutalen Konfrontation zu rechtfertigen, unternähmen die Behörden alle Anstrengungen, die Gelbwesten zu diskreditieren. Deshalb habe Emmanuel Macron sie als „Hass-Menge“ gebrandmarkt, die xenophob, homophob und antisemitisch sei.

Die Medien stünden unterdessen in treuer Komplizenschaft als Wachhund dem Staat zur Seite, so der offene Brief. Sie würden jeden noch so kleinen Zwischenfall ermitteln, um die Gelbwesten als Rassisten und Faschisten vorzuführen. Im Aufruf wird der Protest der Gelbwesten mit dem Mai 1968 und anderen so genannten „Volksbewegungen“ wie dem Arabischen Frühling oder Occupy Wall Street verglichen. Die 250 Unterzeichner*innen fordern alle Intellektuellen und Künstler*innen auf, sich den Gelbwesten anzuschließen, bisher hätten sich die Intellektuellen in vornehmes Schweigen gehüllt. Prominente Namen fehlen auf der Liste.

Forderung nach Anerkennung

Im Aufruf wird eingeräumt, es gebe zwar Vereinnahmungsversuche von rechts, diese würden jedoch nicht gleich die ganze Bewegung diskreditieren. Zur Gewaltfrage zitieren die Verfasser*innen Bertolt Brecht: „Der reißende Fluß wird gewalttätig genannt. Aber das Flußbett, das ihn einengt, nennt keiner gewalttätig.“

Die Bewegung sei Ausdruck der Forderung nach Anerkennung, gehört zu werden und respektiert zu werden. Der „Regierung aus Technokraten“ wirft der Aufruf verächtliche Arroganz vor. Den Gelbwesten komme das Verdienst zu, die Idee der aktiven Bürgerschaft und der „Kompetenz des Volkes“ geweckt zu haben.

Aktive Bürgerschaft meint hier „die demokratischen und revolutionären Traditionen seit den Sans-Culottes, die Revolution von 1848 und die Kommunarden bis zu den Arbeiterräten des 20. Jahrhunderts“: „Die Ablehnung jeglicher Machtdelegation, die die Mehrheit der Gelben Westen auszeichnet, liegt in derselben Tradition, der radikalen und libertären Demokratie, die durch die Erinnerung an die verratenen Aufstände wiederbelebt wird“. Es sei in der Verantwortung der Linken, das Feld nicht den Rechten zu überlassen.

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