Neben dem Vatikan

DIPLOMATIE Die Palästinenser wollen bei der UNO von der „beobachtenden Körperschaft“ zum „beobachtenden Nichtmitgliedstaat“ werden. Warum?

■ Der Termin: Bei der UNO-Generalversammlung am 27. September will Palästinenserpräsident Mahmud Abbas die Aufnahme Palästinas als Nichtmitglied der Vereinten Nationen beantragen.

■ Die Lage: Die UN-Resolution 181 von 1948 verspricht den Palästinensern einen eigenen Staat. Daraus wurde nichts. Der neue Status soll ihnen mehr Handlungsspielräume geben.

AUS GENF ANDREAS ZUMACH

Vor einem Jahr, am 23. September 2011, beantragte der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, vor der UNO-Generalversammlung in New York die „völkerrechtliche Anerkennung des Staates Palästina und seine Aufnahme in die Weltorganisation als Vollmitglied“.

Die für eine Annahme dieses Antrags erforderliche „zustimmende Empfehlung“ des Sicherheitsrats an die Generalversammlung hätte damals die erforderliche Mehrheit von 9 der 15 Ratsmitglieder gefunden. Und bei der Abstimmung in der Versammlung hätte weit mehr als die laut UNO-Charta notwendige Mehrheit von zwei Drittel der 194 UNO-Mitglieder mit „Ja“ votiert. Doch die USA verhinderten mit ihrer Veto-Drohung im Sicherheitsrat, dass überhaupt abgestimmt wurde. Deshalb wird Abbas der Generalversammlung am kommenden Donnerstag einen neuen, abgespeckten Antrag vorlegen: Der bisherige Beobachterstatus Palästinas bei der UNO soll verändert werden von einer „anderen Körperschaft“ – in der UN-Sprache „other entity“ – zu einem „Nichtmitgliedstaat“ – einem „non-member state“. Dafür ist keine Empfehlung des Sicherheitsrats erforderlich. In der Generalversammlung wird eine voraussichtlich bis zu 75-prozentige Mehrheit zustimmen.

Doch „What’s in a name?“, könnte man mit Shakespeares Juliet fragen. Abbas und seine Unterstützer in der Generalversammlung hoffen auf mehr Handlungsspielräume im nun schon über 60 Jahre währenden Bemühen um einen eigenen Staat, der den Palästinensern in der Resolution 181 der UNO-Generalversammlung vom November 1948 versprochen wurde. Die USA, Israel, Deutschland und die anderen Staaten, die am nächsten Donnerstag mit „Nein“ stimmen oder sich enthalten werden, setzen hingegen darauf, dass die Namenänderung ein symbolischer Akt ohne praktische Konsequenzen bleibt. So wie 1988.

Bis dahin hatte die „Palästinensische Befreiungsorganisation“ PLO unter Jassir Arafat – ähnlich wie einige Befreiungsbewegungen aus dem südlichen Afrika und Lateinamerika – den Beobachterstatus als „andere Körperschaft“, die UNO hatte ihn der PLO 1974 zuerkannt. Er erlaubte ihr die Teilnahme an Debatten der Generalversammlung sowie die politische Unterstützung von Anträgen und Resolutionsentwürfen zu Nahost-Themen. Abstimmen dürfen Beobachter nicht.

1988 rief der PLO-Nationalrat die Gründung des Staates Palästina mit der Hauptstadt Ostjerusalem aus. Doch nach der Anerkennung durch über 50 Staaten wurde lediglich das Namenschild am Sitzplatz des palästinensischen Beobachters in den UNO-Zentralen von New York und Genf von „PLO“ in „Palestine“ verändert. Die Kompetenzen blieben unverändert.

Hingegen eröffnet die jetzt geplante Aufwertung zum beobachtenden Nichtmitgliedstaat den Palästinensern neue Rechte und Möglichkeiten. Sie könnten dem für zwischenstaatliche Streitigkeiten zuständigen Internationalen Gerichtshof sowie dem Internationalen Strafgerichtshof beitreten und dort Klagen gegen Israel einreichen wegen der völkerrechtswidrigen Besetzung und Besiedlung des Westjordanlandes oder wegen Menschenrechtsverletzungen. Zudem erleichtert der Status die Mitgliedschaftsbegehren Palästinas bei UN-Sonderorganisationen, die darüber unabhängig von der Generalversammlung entscheiden können: Bereits im November 2011 wurde Palästina von der Unesco in Paris aufgenommen, als Nächstes plant Abbas den Beitritt zur Weltgesundheitsorganisation und zur Internationalen Arbeitsorganisation.

In der Generalversammlung und bei anderen UNO-Konferenzen sitzen die Palästinenser künftig neben dem Vatikan – dem einzigen anderen „beobachtenden Nichtmitgliedstaat“, seitdem die Schweiz 2002 Vollmitglied wurde.

Abbas braucht dringend den „historischen Sieg“, den er am Donnerstag in New York verkünden wird. Er steht mit leeren Händen da, seit US-Präsident Barack Obama seine früheren Forderungen an die israelische Regierung nach einem Siedlungsstopp und konstruktiven Verhandlungen mit den Palästinensern über eine „gerechte Zweistaatenlösung“ fallen gelassen hat. Allein die Tatsache, dass Abbas wie auch im letzten September trotz massiven Drucks aus Washington, Tel Aviv und Berlin erneut mit einem Antrag vor die UNO-Generalversammlung tritt, stärkt sein Ansehen bei den Palästinensern – und sein Standing im innerpalästinensischen Machtkampf mit der Hamas.

Doch längerfristig wird ihm der diplomatische Erfolg in der UNO nur dann nutzen, wenn dieser Erfolg auch Fortschritte auf dem Weg zu einem palästinensischen Staat in den Vorkriegsgrenzen von 1967 bringt. Wenn nicht, dann dürfte es unweigerlich zu einer Radikalisierung unter den Palästinensern und zu einem Aufstand gegen die Autonomiebehörde kommen, die Abbas politisch kaum überleben wird.