Eleganz mit einem Stachel

Die unplugged Songrevue-Reihe „Resonanzen“ feierte 50-jähriges Jubiläum im alterehrwürdigen Charlottenburger Art-déco-Haus des Renaissance-Theaters. Ergraute Berliner New-Wave-Prominenz gab sich ein Stelldichein

Mika Bajinski an der Gitarre, halb verdeckt an der Pedal Steel, Kristof Hahn, am Dienstagabend im Renaissance-Theater Foto: Renaissance-Theater/Kerstin Groh

Von Robert Mießner

Wenn das Haus der erste Star des Abends ist: Für den ausklingenden Dienstag hatte das Renaissance-Theater in Charlottenburg zu einer Gala, einer Revue eingeladen, die, so hieß es, „die musikalische Vielfalt Berlins, von zeitgenössischem Songwriting über Chanson, Jazz, Blues, Rock und Soul bis zu irischer Folklore und indischer klassischer Musik“ abbilden sollte. Das Schöne an Theaterkonzerten ist ja, dass das Warten nicht allzu lange gerät. Hier geriet es fast zu kurz, um sich das Renaissance-Theater einmal gründlich anzuschauen. Es lohnt sich!

Der Bau des ungarisch-jüdischen Architekten Oskar Kaufmann ist das einzige erhalten gebliebene Art-déco-Theater Europas und eine der letzten Bühnen der mythenumrankten zwanziger Jahre, Stichwort „Babylon Berlin“. Ein passendes Ambiente übrigens auch für die britische Sängerin Marianne Faithful, die sich anlässlich einer BBC-Sendung einmal ins Renaissance-Theater auf die Spuren ihrer Mutter begab, Baroness Erisso, freizügige Tänzerin in den Kabaretts am Kurfürstendamm, bevor Hitler kam. Geburtsname der Baroness: Eva Hermine von Sacher-Masoch; ja, sie war die Großnichte des Autors von „Venus im Pelz“ und sollte in Wien Widerstand gegen die Nazis leisten.

Ein Vorprogramm erübrigte sich also bei der Dienstagsgala, deren Name sich einer wöchentlichen Reihe kammermusikalischer Privatkonzerte in einer Weinbar in Berlin verdankt und die im Renaissance-Theater anlässlich ihrer 50. Veranstaltung eine Art Best-of bot: Die Reihe „Resonanzen“ wird ausgerichtet von dem Kontrabassisten und Komponisten Yoyo Röhm, Mitbegründer der englisch-aus­tra­li­schen Blues- und Chanson-Punk-Band Fatal Shore, und dem Schweizer Mitmusiker Thomas Wydler, Drummer bei Nick Cave & The Bad Seeds.

Sie widmet sich Musik, die in ihrer Eleganz einen Stachel trägt; und wo sie das am Dienstag tat, war es ein überraschender Abend. Es gab ein Wiederhören mit alten Bekannten, und es konnten Entdeckungen gemacht werden. Den Conferencier gab Ben Becker, der auch die Revue eröffnete. Er machte seine Aufgabe geradezu dezent, seine im Programm angekündigte Schwester Meret wurde vermisst. Um den Pianisten Kapi Kapitzke, den Schlagzeuger Achim Färber, Röhm selbst und ein Bläsertrio gab es so etwas wie eine Hausband. Sehr schön war es, als Kapitzke den Auftritt der sizilianischen Sängerin Marta Collica, so melancholisch wie beschwingt, mit flirrenden Orgeltönen unterfütterte.

Collica wiederum hatte sich als Gast für ihren zweiten Song eine junge Musikerin eingeladen, deren eigener Auftritt gleich im Anschluss eines der Highlights des Abends bildete: Mika Bajinsky, im Trio mit einer Cellistin und Kristof Hahn (Swans, Pere Ubu) an der Lap­-Steel-Gitarre. Man weiß wenig über Bajinsky; das sollte sich ändern.

Ihr Auftritt, die große Entdeckung, war einer der geräuschhaltigeren Programmpunkte und bestand aus einem vage an Velvet Undergrounds „Ocean“ erinnernden Song und einer dunkel, dissonant grundierten Countryballade: „Easy as a Gun“, auf der Soundcloud-Seite der Musikerin in einer Lo-Fi-Version nachzuhören. Wer weiter sucht, wird eine Interpretation Bajinskys von Bertolt Brechts und Kurt Weills „Surabaya Johnny“ finden, wie überhaupt Brecht und Weill gut zu dem Abend gepasst hätten, den Veranstaltern aber eventuell zu naheliegend waren.

Beim Wiederhören alter Songs konnten Entdeckungen gemacht werden

Dafür war später ein Lied zu hören, so alt wie die BRD und die DDR: „Dirty Old Town“, Irish Folk, 1949 von Ewan MacColl komponiert und Kindern der 80er durch die Pogues bekannt, dargeboten von Steve Binetti als Massivrock. Binetti, im Osten Musiker bei Bands wie Hard Pop, war in den frühen 90ern so etwas wie der Hauskom­ponist an Frank Castorfs Volksbühne, so für die legendäre „Clockwork Orange“-Inszenierung von 1993. Stichwort Volksbühne: Oskar Kaufmann, der erwähnte Architekt des Renais­sance-Theaters, hat auch das ursprüngliche, im Zweiten Weltkrieg zerstörte Haus am Rosa-Luxemburg-Platz entworfen.

Den Abend beschlossen die Songwriterin Bobo und ihre Tochter mit Interpretationen von Kate Bushs „Running Up That Hill“ und Soundgardens „Black Hole Sun“. Bobo ist sonst als Sängerin auf einer der wenigen annehmbaren Rammstein-Nummern, „Engel“, zu hören.

Als Zugabe dann ein Chor aller Beteiligten mit „New World Order“. Nein, nicht die von George H. W. Bush, sondern die von Curtis Mayfield. Das kann man als Programm so stehen lassen.