Anreden gegen den Abstieg

Zum Auftakt der Lessingtage inszeniert Sebastian Nübling Simon Stephens neues Stück „Maria“. Aber das Melodrama über eine junge prekarisierte Schwangere ist eher ermüdend

Gar nicht so leicht, diese Suche nach Liebe: Nicht mal für die Geburt ihres Kindes findet Maria eine Begleitung Foto: Krafft Angerer

Von Jens Fischer

Gedämpftes Licht, an den Nerven zerrende Musik. Der Ort des Geschehens: ein beängstigendes Viertel an irgendeinem Umschlagplatz globaler Warenströme. Langsam rotiert auf der Drehbühne ein LKW, an der Fahrerhaustür turnt Maria eine Gymnastikeinheit. 18 Jahre jung ist die Frau und in ihrem unbehausten Leben schon fast ganz unten angekommen bei den Erniedrigten und Beleidigten in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Tagsüber reinigt sie Duschen in einem Fitnessstudio und nennt abends nicht mehr ihr eigen, als das, was sie am Leib trägt – und was sie im Leib trägt: ein sechs Monate altes Baby.

Simon Stephens macht sie zu seiner Heldin im Kampf gegen soziale Degradierung. Sein neues, mit melodramatischen Effekten gespicktes Stück hat er auch gleich „Maria“ betitelt. Premiere feierte es zum Auftakt der diesjährigen Lessingtage des Thalia-Theaters. Viele der dort gezeigten Stücke handeln von Selbstermächtigung und dem Streben nach Autonomie.

Schauspielerin Lisa Hagmeister versteckt Marias Unsicherheit hinter forschem Gehabe, spielt sie als tollkühn Unerschrockene. Eine, die nie aufgibt, mit dem Herz am rechten Fleck – und so vielen Fragen im Kopf, die ohne Unterlass aus ihr heraussprudeln: vor allem über die Angst vor Geburt und Mutterwerden spricht sie zu Beginn. Also erst mal zum Arzt, den Regisseur Sebastian Nübling als Mechaniker auftreten lässt, der behauptet, aus dem Jemen zu stammen. Ebenfalls ein Deklassierter? Ein Compañero?

Keine Frage: Diese Packer, die den LKW entladen, verweisen mit ihrer Huschhusch-Choreografie auf das Elend der Auslieferer prall gefüllter Online-Shopping-Warenkörbe. Deren Empfänger wiederum machen sich derweil mit Tai-Chi im Technorhythmus und Gute-Laune-Hüpfern mit Cheerleading-Puscheln fit für den Konsum.

Überhaupt wird viel getobt bei Nübling: Marias prolliges Umfeld ballert sich zu harten Beats die Folgen der Marginalisierung aus den Körpern. Ein rastloses Körpertheater wie schon in Nüblings letzter Stephens-Adaption „Rage“. „Das Problem ist – wie üblich –, dass uns niemand liebt“, hieß es dort programmatisch. Diesmal ist es der Reklamespruch „Love is all you need“auf der LKW-Plane.

Das gilt auch für Maria, die schnell feststellen muss, wie geschmeidig die Brutalität der Arbeitswelt daherkommen kann: Weil sie so ärmlich aussieht und zu spät kommt, droht ihr der Rauswurf. Und zur Angst ums Mutterwerden kommt die Angst vor der totalen Joblosigkeit. Kurz überlegt sie, Amok zu laufen, lässt aber sogleich wieder ab von derlei Verantwortungslosigkeit, ist schließlich dramatisches Vorbild.

Also lieber eine Begleitung für den Kreißsaal finden. Wer Vater des Kindes ist, weiß Maria leider nicht so genau; Oma erträgt keine Krankenhäuser; die beste Freundin befürchtet Ärger mit ihrem Liebsten. Marias Mutter ist tot. Und der Vater wird sicher auch keine Hilfe beim Entbinden leisten können: Der Supermarktkassierer schämt sich für seine eigene berufliche Nicht-Karriere, kann seiner Tochter nicht mal ein Eis spendieren.

Apropos Schämen: Die meist nur von zwei Personen geführten Dialoge des Stücks sind eher langatmig banal, zum Teil auch unangenehm klischeehaft, zerfließen. Wirklich lebendig wirkt nur Marias leidenschaftliche Suche nach Haltepunkten – und das Finden einer Gesprächsparnterin in Oma (Barbara Nüsse), der vom Leben ernüchterten Frau.

Schließlich bekommt Maria ihr Kind. Sie redet, als Hörspiel ist das mitzuerleben, allein unter Ärzten gegen die Schmerzen der Wehen an. Wenn ihr die Worte ausgehen, zitiert sie Weisheiten aus TV-Dokus, die sie gern bei Youtube auf dem Handy anschaut.. Das ist dann auch lustig, wenn der Arzt ihr den Atemrhythmus einpaukt und sie hechelt: „Durch die heutigen Wirtschaftsstrukturen ist es so weit gekommen, dass sich Arbeit nicht lohnt und nicht mal Geldverdienen sich lohnt, sondern nur Besitz.“

Aber auch der zweite Teil des Abends ist eher ermüdend. Maria moderiert nun als Cam-Girl die Kontaktversuche der Sozio- und Psychopathen in ihrem Chatroom. Zu beobachten ist das auf extra installierten Bildschirmen. Aber es gibt auch hier vor allem Klischees zu erleben, diesmal zum Thema soziale Isolation. Da stranguliert sich etwa ein einsamer Maskenmann und ein Pizzafresser will Küsse über die Webkamera austauschen.

Zum Finale redet Marie gegen das Sterben ihrer Oma an – die noch ein letztes Mal wie eine Ballerina lostanzt und in Marias Armen stirbt. Was auch Hagmeister erstmals zum Schweigen bringt. Sie hat triumphiert – in Nüblings spekulativer Bebilderung eines allzu blassen Textes über die Suche nach analogem Kontakt in einer digital durchökonomisierten Welt.

Mo, 28. 1., 20 Uhr, Thalia-­Theater. Weitere Termine: 6./9./14./19. 2.