Das Ende der Bruchbude

Warmwasser, aber auch Fürsorge: Florian Wüst zeigte historische Dokumentarfilme zur Sanierung des Wedding im Olof-Palme-Zentrum

Von Ronald Berg

Im Jahr 1988, gegen Ende der Stadterneuerung im Weddinger Brunnenviertel, sprach der damalige Bezirksbürgermeister Jörg-Otto Spiller (SPD) davon, die Sanierung des Weddings sei gelungen. „Gesundes Wohnen in gesunder Umgebung“ sei das Ergebnis des Sanierungsprozesses. Am Dienstag war sich das Publikum im Olof-Palme-Zentrum, mitten im einstigen Sanierungsgebiet, in ihrem Befund nicht so sicher. Zu sehen gab es zwei Filme, auf die der Künstler Florian Wüst durch seine Beschäftigung mit Nachkriegszeit und Moderne gestoßen war. Beide stammen von Wolfgang Kiepenheuer und drehen sich um die seinerzeit größte Stadtsanierung Europas.

Der eine wurde im Auftrag des Landes Berlin realisiert, der zweite für das Wohnungsbauunternehmen Degewo. Die positive Tendenz zur Stadterneuerung ist beiden Filmen daher deutlich anzusehen. Heiterkeit erzeugten eher Szenen, in denen damalige Bewohner zu Wort kommen – oft mit der obligatorischen Zigarette. Der Weddinger, das Milieu von „Alter, Armut und Unbildung“, wie es bei Soziologen damals hieß, hauste nach 1945 rechts und links der Brunnenstraße in sogenannten Bruchbuden ohne Bad und mit Außentoilette. Trotzdem, so erzählen die von Kiepenheuer eingefangenen O-Töne, wollten die meisten in ihrem angestammten Kiez bleiben – wenn nur die Wohnverhältnisse sich bessern würden. Die „Kahlschlagsanierung“ am Anfang der Stadterneuerung, beginnend ab 1963, leitete aber eine Entwicklung ein, die dazu führte, dass sich die Bevölkerung im Viertel radikal austauschte. Daran änderte auch der Paradigmenwechsel im Laufe des Sanierungsprozesses nichts, als man in den Siebzigern dazu überging, die bestehenden Vorderhäuser zu erhalten und es schließlich in den Achtzigern hieß: Instandsetzung vor Modernisierung.

Heute ist das Brunnenviertel weder Erholungsgebiet noch städtebauliches Schmuckstück. Obwohl von der dreiseitigen Einkesselung durch die Mauer befreit und damit in Innenstadtnähe gerückt, sind die Mieten noch vergleichsweise günstig. Probleme – mangelnde soziale und ethnische Durchmischung bei überwiegend sozial schwacher Bevölkerung – gibt es nach wie vor. Allerdings ist es in den verbliebenen Altbaugebieten im übrigen Wedding nicht anders.

Die urbanen Probleme, so wird nach der Filmvorführung auch von den Kiezbewohnern berichtet, wurzeln nicht allein in der Architektur. Aber dass die „Ureinwohner“ des Brunnenviertels nach dem Mauerbau 1961 wegen der angeblich von „dem Russen“ ausgehenden Gefahr vertrieben worden seien, stößt doch bei vielen auf Skepsis.

Ein eher noch junger Experte im Stadterneuerungsfach aus dem Publikum resümiert, das Positive an der Weddinger Stadterneuerung läge darin, dass man über die Jahrzehnte aus Fehlern gelernt habe. Eine Stadt zu sanieren, heißt eben nicht nur, für Bad, Balkon und Warmwasser zu sorgen, sondern sich um die Menschen zu kümmern, statt sie zu vertreiben.

Das ist in Kiepenheuers zweitem Film von 1975 auch schon als Erkenntnis eingeflossen. Die kleinen Gewerbetreibenden vom Tante-Emma-Laden, der Drogerie und der Schneiderei, die da vorgeführt werden, haben es zum Teil geschafft, ihr Gewerbe an anderer Stelle im Viertel fortzusetzen. Heute ist nicht nur die große AEG als Arbeitgeber verschwunden, sondern auch das hier einst reichlich beheimatete Kleingewerbe.

Die hygienischen Wohnverhältnisse sind durch die Neubauten aber sicher besser ­geworden. Die in Kiepenheuers Filmen vermittelte schnoddrige Haltung der Berliner, doch ­irgendwie von der sich an­bahnenden Stadterneuerung zu profitieren –„Zwei Zimmer, Bad, WC für 200 D-Mark“ –, kommentieren die heutigen Anwohner am Dienstag allerdings mit „unfreiwillige Komik“. Eine solche Anspruchsmentalität muss man sich in der Gegenwart – auch im nun so genannten Brunnenviertel – erst mal leisten können.