Nachruf auf Susanne Neumann: Die bekannteste Putzfrau der Republik

Die ehemalige SPD-Aktivistin und Gebäudereinigerin Susanne Neumann war eine Kämpferin für soziale Gerechtigkeit. Jetzt ist sie verstorben.

Susanne Neumann schaut traurig nach oben

Susanne Neumann hat lange gehofft, die SPD könne sich noch ändern Foto: dpa

Als ich Susanne Neumann im April bei einer Wahlkampfveranstaltung in Köln zum Interview traf, war sie bereits von ihrer Krebserkrankung gezeichnet. Doch davon wollte sie sich nichts anmerken lassen. Sie bestand darauf, ihren Rollator selbst die Treppe hinunterzutragen. Ein bisschen Hilfe nahm sie gern an – aber was sie selbst erledigen konnte, erledigte sie selbst. Die Gewerkschafterin aus Gelsenkirchen war ein starker, resoluter Mensch und gerade wegen ihrer Direktheit angenehm im Umgang.

Neumann war von 2009 bis 2017 Vorsitzende der Industriegewerkschaft IG Bau im Bezirk Emscher-Lippe-Aa. Doch berühmt wurde die Gebäudereinigerin als „Deutschlands bekannteste Putzfrau“: Bei einer Podiumsdiskussion 2016 im Willy-Brandt-Haus mit Sigmar Gabriel warf sie dem damaligen SPD-Chef vor, die Agenda 2010 habe Menschen im Niedriglohnsektor in die Leiharbeit und Altersarmut gedrängt – sie selbst habe nur mit einer Rente von 725 Euro zu rechnen –, und fragte zynisch: „Warum soll ich eine Partei wählen, die mir das eingebrockt hat?“

Gabriel verteidigte sich mit den Limitierungen der Großen Koalition, legte jovial den Arm um Neumann und warb für die Verbesserungen, die die SPD durchgesetzt habe. Doch selbst das geneigte Publikum in der Parteizentrale war hörbar auf Neumanns Seite.

In Talkshows wurde die schlagfertige Frau zum gern gesehenen Gast – und zum schlechten Gewissen der SPD, in die sie kurz vor dem Gespräch mit Gabriel eingetreten war, um den Niedergang der Partei mit ihrem Engagement für eine soziale Wende aufzuhalten. Neumann kämpfte für eine SPD, die ihre Politik an den sozialen Bedürfnissen der „kleinen Leute“ orientiert, die jeden Tag in prekären Jobs Großes leisten und doch mit Altersarmut und Hartz IV zu kämpfen haben.

Ein letzter Weckruf

Ihre Thesen verteidigte sie überzeugend, auch wenn manche Medien eher ihre – für politische Journalisten möglicherweise exotisch anmutende – Berufstätigkeit thematisierten als den Inhalt ihrer Kritik.

Neumann beklagte bei unserem Treffen, dass kaum jemand mehr mit ihr auf der Bühne diskutieren wolle und man dabei ihre Krankheit vorschieben würde. „Die Neumann hat doch Krebs, die können wir nicht richtig angehen“, hieße es. Dabei hätte sie es jederzeit mit jedem aufnehmen können. Sie verschaffte jenen eine Stimme, die zwar gern in politischen Sonntagsreden als Adressaten sozialer Politik bezeichnet werden, aber dennoch selten selbst zu Wort kommen.

Susanne Neumann hat lange gehofft, die Partei könne sich noch ändern. Diese Hoffnung hat sie erst kurz vor ihrem Tod aufgegeben: Im Dezember trat sie aus der SPD aus. Von der Partei könne man „nix mehr erwarten“. Es war ein letzter Weckruf an die Partei. Denn für Menschen wie Neumann ist die deutsche Sozialdemokratie einst gegründet worden. Es ist bezeichnend, dass es der SPD nicht gelungen ist, diese gänzlich unprätentiöse Kämpferin für soziale Gerechtigkeit in ihren Reihen zu halten. Susanne Neumann ist am Sonntag im Alter von 59 Jahren gestorben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.