Gefährliche Enge hinter Gittern

Volle Zellen, zu wenig Personal: Viele Gefängnisse stoßen wegen Überbelegung an ihre Grenzen

Matthias Nagel steht jeden Tag aufs Neue vor einem Dilemma. Sein Job erinnert ein wenig an Tetris-Spielen. Er selbst nennt es scherzhaft „3-D-Schach“, um zu erklären, wie kompliziert sein Alltag geworden ist.

Nagel ist Leiter der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. 798 Häftlinge sind derzeit in dem geschichtsträchtigen Gefängnis eingesperrt. 822 Haftplätze hat Nagel zur Verfügung. Eine Belegungsquote von 97 Prozent – damit ist die JVA deutlich überbelegt. Schon eine Auslastung von 85 bis 90 Prozent gilt im Strafvollzug als Vollbelegung. Mindestens 10 Prozent Reserve sind nötig, um Gruppen trennen zu können und auf Eventualitäten vorbereitet zu sein. Jeden Tag muss Nagel Häftlinge aufnehmen, verlegen, umziehen, nach Lücken suchen. Er hat kaum noch Spielraum.

„Mir wachsen graue Haare“, sagt ein Vollzugsbeamter, der seinen Namen nicht nennen will. „Ich weiß nicht, wo ich die Leute noch unterbringen soll.“ Er steht im Bau 3, im zweiten Obergeschoss des Südflügels, und lehnt an der Tür der Kaffeeküche. Hier kommen die Neuzugänge an, die noch gesundheitlich überprüft werden müssen und noch nicht mit den anderen eingesperrt werden dürfen. „Heute kommen drei Busse – und ich weiß nicht, wie viel die Polizei noch bringt“, sagt der Mann. Die Beamten belegen bereits mehr Betten als vorgesehen. Wenn für die Betten kein Platz mehr ist, müssen sie Matratzen in den Zellen auslegen. Die Überbelegung sei auch belastend für das Personal, sagt er.

Viele Gefängnisse in Deutschland sind derzeit überbelegt. In Baden-Württemberg ist besonders der geschlossene Männervollzug betroffen. Dort übersteigt nach Angaben des Justizministeriums die tatsächliche Belegung mit 6.405 Gefangenen die rechnerische Belegungsfähigkeit der 17 Anstalten sogar um rund 340. Das habe mit dem Flüchtlingszuzug seit 2015 zu tun, sagt die Behörde. Das baden-württembergische Justizministerium berichtet von einem Anstieg der Gefangenenzahlen allgemein um mehr als 12 Prozent im Vergleich zu 2015. Dies und die „zunehmend heterogene Gefangenenstruktur“ stelle den Vollzug vor Herausforderungen.

In der JVA Stuttgart haben sogar zwei Drittel der Häftlinge keinen deutschen Hintergrund. Das liegt auch daran, dass vor allem Untersuchungshäftlinge dort sitzen. Die Gerichte gingen häufig von einer höheren Fluchtgefahr aus, wenn die Beschuldigten keinen festen Wohnsitz in Deutschland hätten, erklärt Nagel.

Eigentlich sollte der berüchtigte Bau 1 der JVA – dort, wo sich die Führungsriege der Roten Armee Fraktion (RAF) im siebten Stock im Oktober 1977 umbrachte – längst geschlossen werden. Nun wird das Gebäude renoviert. „Wir werden ihn auf unbestimmte Zeit weiterbetreiben“, sagt Nagel. (dpa)