Kommentar Staatsbürgerschaft: Absurdität bundesdeutschen Rechts

Die Tochter einer NS-Verfolgten kann nicht deutsche Staatsbürgerin werden. Mit dieser diskriminierenden Gesetzeslage muss Schluss gemacht werden.

Zwei deutsche Reisepaesse liegen auf einem Tisch

Nicht für Nachkommen für NS-Verfolgte? Das ist absurd Foto: imago/Winfried Rothermel

Es klingt zu absurd, um wirklich wahr sein zu können: Da verliert das Kind einer vor den Nazis nach Großbritannien geflüchteten deutschen Jüdin den grundgesetzlich verbrieften Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit, weil zum Zeitpunkt seiner Geburt noch ein grundgesetzwidriges Gesetz galt, das die Mutter diskriminierte – und zwar nicht als Jüdin, sondern „nur“ als Frau. So etwas kann man sich nicht ausdenken. Dieser Aberwitz ist tatsächlich bis heute bundesdeutsche Realität. Auf dieser Grundlage werden ernsthaft Einbürgerungsanträge abgelehnt. Es ist überfällig, dass damit Schluss gemacht wird.

Was ist das für ein grandioser Vertrauensbeweis, wenn die Nachkommen derjenigen, die sich vor dem nationalsozialistischen Vernichtungsfuror retten konnten, den deutschen Pass beantragen! Die Bundesrepublik sollte dankbar sein für jeden Einzelnen, der sich für diesen Schritt entscheidet. Da muss es doch völlig egal sein, wen und wann die Mutter oder Großmutter nach ihrer Flucht geheiratet hat.

Vergessen wir nie: Auch wenn sie dem deutschen Zivilisationsbruch nicht zum Opfer fielen, entkommen konnte keine jüdische Familie. Denn da waren immer noch der Vater, die Mutter, die Großmutter, der Großvater, die Schwester, der Bruder, der Onkel, die Tante, die Cousine oder der Cousin, die im Gas endeten.

Es geht um historische Verantwortung

Aus verständlichen Gründen wollten viele jener jüdischen Deutschen, die sich im Gegensatz zu ihren Angehörigen ins Ausland retten konnten, nie wieder etwas mit dem Land der Täter zu tun haben. Und nun beantragen die Tochter, der Sohn, der Enkel oder die Enkelin die deutsche Staatsbürgerschaft, die ihren Vorfahren von den Nazis entzogen wurde. Wie kann man ein solches Begehren ablehnen, ohne vor Scham im Boden zu versinken?

Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein: Abkömmlinge deutscher Staatsangehöriger, denen zwischen 1933 und 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, sind auf Antrag wieder einzubürgern, auch wenn sie nach dem zum Zeitpunkt ihrer Geburt geltenden Recht die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Abstammung erworben hätten.

Wortwörtlich genau das haben die Grünen in der vergangenen Legislaturperiode vorgeschlagen. Doch ihr Gesetzentwurf zur Reformierung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts kam nie zur Abstimmung. Desto dringender wäre es, ihn jetzt endlich zu beschließen.

Hier geht es um die Wahrnehmung historischer Verantwortung. Da sollten alle im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien gemeinsam darum bemüht sein, den bestehenden Missstand schnellstmöglich zu beseitigen. Das ist eine moralische Verpflichtung. Zum 70. Jubiläum des Grundgesetzes gehört die gegenwärtige blamable Rechtslage schnellstmöglich geändert. Ohne Wenn und Aber.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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