Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Das Böse erklären

Foto: Roberta Sant'anna

Soll ich jetzt Mitleid mit dem Wichser von Bottrop haben, weil er ein labiler Single und Hartz-IVler war, der angeblich nichts mehr zu verlieren hatte,“ fragte die Nachbarin am Container auf St. Pauli und warf drei Champagnerflaschen ein.

„Mir geht die mediale Diagnostiziererei auch echt auf die Nerven“, sagte ihr Mann.

„Was interessiert denn das, ob der depressiv, narzisstisch oder zwangsneurotisch war, das war ich auch schon im Lauf meiner 60 Jahre. Aber ich hab nie geglaubt, andere gehören totgefahren.“ Eine junge Frau mischte sich ein: „Naja, aber da war ja auch von Psychose oder Schizophrenie die Rede.“

„Ja, aber davon kommt doch kein Rassismus.“

„Aber wer rassistisch ist, ist doch zumindest irgendwie schlecht drauf“, wandte sie ein.

„Das sind wir doch alle andauernd. Ich zum Beispiel find schon seit heute Morgen alles beschissen und ich hab seit drei Tagen einen Kater, weil ich einfach zu alt für ein Silvesterbesäufnis bin. Deshalb fahr ich doch nicht Leute um. Nicht mal die, die mir wirklich etwas getan haben.“

Menschen wollen Erklärungen, um das Böse zu ertragen – sehr beliebt ist es, das Böse mit dem Schwachen zu erklären. Der Böse ist also eigentlich der bedauernswerte Schwache, so bleibt die Welt gerecht und im Lot. Dem Bösen ging es eben nicht gut, er war traurig, hatte eine schlimme Kindheit, seine Frau hat ihn verlassen, seinen Papa kannte er kaum, seine Mami arbeitete ganztags, er war hässlich, wurde gemobbt, bekam nach der Ausbildung keinen Job, war introvertiert, hatte schwere Akne und keine Freunde, sah keinen Ausweg. Unsinn.

Selbst Psychose-Kranke richten nur selten Gewalt gegen sich oder andere. Deshalb kann man sie zum Bedauern von Familie und Freunden oft nicht zwangseinweisen lassen.

Alle Menschen neigen dann und wann zur Schlechtigkeit in Gedanken, behalten das aber ohne Probleme für sich. Einige sprechen drüber, einige posaunen heraus, was Böses in ihren Köpfen hin und her schwappt und andere schreiten zur Tat. Manche Leute kommen sich schon schlecht vor, wenn sie sich vor dem Schlafengehen nicht die Zähne putzen oder sie beim Streiten mal laut werden, andere halten es für ihr Recht und völlig normal, irgendwen zu verprügeln, bloß weil ihnen gerade irgendwie danach ist.

Und es gibt auch Menschen, die meinen, anders aussehende Menschen totzufahren sei absolut richtig. Was ich für richtig oder falsch halte und wie ich mich verhalte, entscheide ich immer noch selbst. Ich gehe nur von mir aus und ich bin ein Mensch wie jeder andere. Deshalb bleibe ich dabei: Rassismus ist keine Krankheit oder psychische Auffälligkeit, sondern eine Entscheidung.

Wenn die Tatsache, eine arme Wurst zu sein, ausreichen würde, um Rassist zu werden, wären alle armen Würste Rassisten. Wenn eine psychische Erkrankung der Grund für Rassismus wäre, dann wären alle psychisch Kranken Rassisten. Wenn man in eine Menschenmenge fährt, ist das vielleicht krank, aber die Entscheidung zum Rassismus wurde zuvor getroffen. Denken ist Handeln und auch worüber man nicht anständig nachdenkt, sucht man sich selber aus.

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. Alle zwei Wochen verdichtet sie in dieser taz-Kolumne tatsächlich Erlebtes literarisch.