wochenschnack
: Verbotenes Jauchzen

Unsere Autorin berichtete von ihrem behinderten Sohn, der gern das Weihnachtsoratorium hören möchte, aber meistens nicht darf

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Ich hätte gerne die Wahl

„Ich persönlich finde, jeder hat Pech gehabt, der noch nie erlebt hat, wie hingerissen Willi sein kann bei Bachs Toccata und Fuge in d-Moll. Gerne würde ich viel mehr Menschen die Chance geben, das zu erleben.“

Und ich hätte gerne die Wahl, selber zu entscheiden, ob ich der Performance des Kindes oder der Musiker zuhöre. Limits2Growth, taz.de

Richtig abrocken

@Limits2Growth Ich finde ja, so Leute wie Sie sollten von solchen Konzerten ausgeschlossen werden.

Man kann bei klassischer Musik ruhig mal richtig abrocken. Wer sich ganz auf die Musik einlässt, kann das ja kaum verhindern. Diese typischen „Stock im Arsch“-Konzertbesucher haben keine Ahnung, was Musik wirklich ist und wie man sie mit allen Sinnen wahrnimmt.

magheinz, taz.de

Natürlicher Störfaktor

@magheinz Leider muss ich attestieren, dass Sie Musik als Hör- und Sehgehnuss mit der Komplexität von Instrumentalität auch überhaupt nicht verstanden haben, weil Sie abgelenkt von solchen Fällen hier sind und Political Correctness vorgeben müssen. Und ich bezweifle, dass Sie wissen, wie der Junge Musik mit seinen Sinnen wahrnimmt. Sie sind Sie und nicht der Junge.

Wenn bei einer Klaviersonate jemand wild und laut gestikuliert, dann ist das nun mal ein natürlicher Störfaktor. Bei Rockkonzerten wäre der Junge weitaus besser aufgehoben. Nun mag er jedoch Klassik und das als ganz andere Wahrnehmung als 99 Prozent der Anderen. Ja, in der Tat doof. Den Königsweg gibt es für Menschen mit Behinderungen fast nie. Gesellschaftliche Normen bleiben wandelbar. Aber eben meist extrem langsam. Ob ein Junge da als Einzelkämpfer etwas bewirken kann?

Akula, taz.de

Geräuschegenießer

@Limits2Growth Unser Sohn ist genau so. Ein „Geräuschgenießer“, der Musik liebt und laut jubelt, wenn’s ihm gefällt. Zum Glück haben wir immer wieder Konzerte, wo er willkommen ist. Gestern waren wir in einem Weihnachts-Benefiz-Konzert. Hat ihm sehr gefallen, was deutlich zu hören war. Ich halte mich mit ihm eher hinten, auf der Seite auf, da fällt er nicht so auf. Da er sehr gut hört und sehr schlecht sieht, ist ihm das recht und die Leute sind nicht so gestört. So haben alle was vom Konzert.

Roland Ebner, taz.de

Kein Problem

In UK ist das kein Problem. Bei der Last Night of the Proms tanzen sowieso alle herum. Hier gibt es ja wohl auch jetzt so was. Keine Ahnung, wie die Dinger ablaufen.

Hier muss wirklich einmal irgendeine Organisation, die sich für die Belange von Behinderten einsetzt, sich mit Konzerthäusern kurzschließen und Ähnliches in Deutschland ermöglichen. Wichtig ist meines Erachtens nur, dass auch die anderen Konzertbesucher erfahren, wie das Konzert konzipiert ist. Ich muss auch sagen, dass, wenn ich eine Oper erleben will, ich zumindest vorher wissen will, ob ich sie in der klassischen Form oder als Event mit Publikumsbeteiligung erleben werde. Es gibt ja auch Menschen, die nicht mal behindert sein müssen, die aber in Panik geraten, wenn zu viel Action um sie herum passiert. Age Krüger, taz.de

Etwas über den Noten

… „Irgendwann“, sagte Charlie Parker, „habe ich erkannt, da ist mehr, da gibt es noch etwas ‚über‘ den Noten.“

Und ich denke, Willi hat es auch erkannt. Virilio, taz.de

Heischen nach Aufmerksamkeit

Ehrlich gesagt, ich sitze sehr entspannt in klassischen Konzerten, aber ich mag es schon, wenn in der Zuhörerschaft Schweigen und Stille herrscht. Wenn ich Lust habe zu einer klassischen Aufführung zu tanzen, oder mitzusingen, dann schau ich mir das Konzert zu Hause auf meinem großen Fernseher an, mach’die 5.1-Sourround-Anlage etwas lauter und ab geht’s. Ansonsten gibt es vor jeder Aufführung eine Generalprobe, zu der man nach Absprache oft auch mal zum Zuhören kommen darf.

Ich hab schon einiges mit Menschen mit Behinderung musiziert und gearbeitet und schätze deren Gefühlsausbrüche und Performances durchaus. Bloß, wenn ich 25 Euro für ein Ticket Weihnachtsoratorium bezahlt habe, dann möchte ich bitte jedes Detail der Aufführung mitbekommen und keine überlagernden Geräusche hören. Ich möchte, dass die Musik im Mittelpunkt steht und nicht irgendein Zuhörer, egal ob mit oder ohne Behinderung. Das gehört nämlich auch zur Wahrheit, dass manche der emotionalen Reaktionen auch als Heischen nach öffentlicher Aufmerksamkeit verstanden werden können.

Wolfgang Neumann, taz.de

Jahrelanges Üben

Als klassischer Musiker möchte ich bei allem Verständnis darauf hinweisen, dass die Ruhe in solchen Konzerten aus zwei Gründen wichtig ist. Zum einen, weil die Schönheit klassischer Musik oftmals im Detail liegt, das sich erst entfaltet, wenn eine Fokussierung des Hörers auf die Musik ermöglicht ist. Und zum anderen ist es für die Aufführenden eine enorme Konzentrationsaufgabe. Es verlangt jahre-, sogar jahrzehntelanges Üben, um die Schwierigkeiten technisch und musikalisch zu meistern und ist dennoch im Konzert immer ein Drahtseilakt. Somit ist die Stille im Publikum auch ein Zeichen des Respekts gegenüber den Musikern. Christopher Bender, taz.de