Frauenbeauftragte über Männer-Verantwortung: „Sexismus ist demokratiefeindlich“

Bettina Wilhelm spricht über die feministische Verantwortung des Mannes und den Einfluss von Wirtschaft und Politik auf die Gleichberechtigung.

Porträt von Bettina Wilhelm

Sieht sich nicht als Kämpferin: Bremens Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm Foto: Nikolai Wilhelm/Fotoetage

taz: Frau Wilhelm, kämpfen Sie Ihren Feminismus allein unter Frauen oder gemeinsam mit Männern?

Bettina Wilhelm: „Kämpfen“ trifft meine Tätigkeit nicht wirklich. Ich setze mich ein, argumentiere, rege an, diskutiere, streite auch mal – und im besten Fall überzeuge ich. Natürlich ist es Kern und gesetzlicher Auftrag meiner Arbeit wie der meiner Behörde, Strukturen so zu verändern, dass sie Frauen nicht mehr benachteiligen. Das geht aber nur im Miteinander, und auch nicht immer geräuschlos. Und bei vielen unserer Anliegen bedeutet Veränderung nicht nur Veränderung für Frauen, sondern auch für Männer – bei den tradierten Rollenbildern beispielsweise.

Müsste Ihre Behörde nicht in „Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Geschlechter“ umbenannt werden?

Der Name ist gesetzlich festgeschrieben. Und so langatmig dieser Name auch ist, beschreibt er doch unverändert den – noch unvollendeten – Auftrag, der im selben Gesetz festgeschrieben ist. In vielen Bereichen ist es aber seit Jahren schon so, dass wir die Belange von Männern oder Jungen mitdenken. Anders könnten wir manche Themen gar nicht bearbeiten.

In der Gender-Debatte geht es aber oft mehr um Sprache …

Sprache drückt unser Denken und Handeln aus, sie spiegelt unsere Auffassung von Wirklichkeit. Nur die männliche Form zu verwenden, unterschlägt die größere Hälfte der Bevölkerung. Sprache wirkt.

Wo trifft das auf die Realität der Menschen?

„Bilder davon, wie Männer und Frauen sein sollen, sind mächtiger denn je“

Wenn von „Ingenieurinnen und Ingenieuren“ statt nur „Ingenieuren“ gesprochen wird, schätzen Kinder typisch männliche Berufe als erreichbarer ein und trauen sie sich selbst eher zu. Das hat eine Studie ergeben. Eine weitere hat gezeigt: Frauen bewerben sich weniger auf männlich formulierte Stellenausschreibungen. Das meint nicht nur die Berufsbezeichnung, sondern die gesamte Sprache der Ausschreibung. Unternehmen bekommen also weniger Bewerbungen, wenn sie nicht geschlechtergerecht formulieren. Tatsächlich aber sind Stellenanzeigen nach wie vor oft nur männlich formuliert, dahinter dann (m/w) für männlich und weiblich, mittlerweile auch schon mit (d), also divers.

Ist das ein Verharren in Traditionen oder können wir von einem Backlash reden?

Sowohl als auch. Rollenbilder sind im Umbruch, aber gebrochen ist ihre Wirkmacht noch nicht – mehr noch: Bilder davon, wie Männer und Frauen, Jungs und Mädchen sein sollen, sind heute mächtiger denn je, befeuert von einer Industrie, die mit den Klischees gute Geschäfte macht, sie so aber reproduziert und damit verstärkt.

Das bedeutet?

Bestes Beispiel: Lego. Früher gab es da eine Form, auf die passte alles: Bausteine, Dächer, Fenster, Räder. Heute gibt es zwei Linien, eine für Jungs, eine für Mädchen. Beide sind nicht kompatibel, die Fee hat eine andere Größe als der Jedi-Ritter. Und Lego ist nur ein Beispiel von endlos vielen anderen. Mädchen und Jungen lernen so vor allem anderen, dass sie verschieden sind und Verschiedenes von ihnen erwartet wird.

Spielen politische Parteien hier gar keine Rolle?

In unserer Marktwirtschaft kaum. Hier können nur Konsumentinnen und Konsumenten mit ihrem Kaufverhalten etwas bewirken. Und Initiativen wie die Plattform Pinkstinks, die im Netz sehr erfolgreich ein Bewusstsein für Geschlechterklischees schaffen. Politik könnte hier durchaus Impulse setzen, wie beispielsweise Frankreich es tut – macht sie aber nicht. In der Politik erleben wir ja gerade auch eine Rückwärtsbewegung, weniger Frauen denn je sitzen in den Parlamenten. Die ohnehin langsame Entwicklung von Gleichberechtigung wurde in den vergangenen Jahren noch ausgebremst.

Kann man denn deren Tempo bestimmen?

ist 54 Jahre alt und seit dem 1. November 2017 die Leiterin der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF). Vorher war sie acht Jahre lang Erste Bürgermeisterin von Schwäbisch Hall.

Man kann sich zumindest darum bemühen. Gerade geschieht aber das Gegenteil: Das Weltwirtschaftsforum hat in seinem Global Gender Gap Report Deutschland gerade eben den Rückwärtsgang attestiert: Wir liegen auf Platz 14, nach Platz 12 vor zwei Jahren und – Achtung! – noch Platz 5 im Jahr 2006. Allein bis die Gleichstellung am Arbeitsplatz erreicht wäre, dauert es beim aktuellen Schneckentempo noch 202 Jahre.

Wieso entwickelt sich Gleichberechtigung denn so langsam?

Weil die Hierarchie der Geschlechter so tief verwurzelt ist in unserer Gesellschaft. Das diesjährige Jubiläum des Frauenwahlrechts war da sehr erhellend: Hier wurde nochmal deutlich, wie sehr Frauen bis heute für gleichberechtigte Teilhabe kämpfen müssen. Sexismus ist in unserer Gesellschaft alltäglich. Sexismus ist diskriminierend und in höchstem Maße demokratiefeindlich. Dieser Aspekt kommt mir in der aktuellen Diskussion um den Wert unserer Demokratie deutlich zu kurz. Denn Gleichstellung ist ein Gradmesser für die Demokratie. Der Beißreflex, mit dem Rechtspopulisten auf Gender-Themen reagieren, ist nichts als ein weiterer Beleg ihrer Demokratiefeindlichkeit.

Wie positioniert sich Ihre Behörde in diesem politischen Feld wachsender Spannungen?

Wir halten Kurs. Und haben in Bremen in fast allen Parteien, die im Parlament vertreten sind, starken Rückhalt, das muss ich hier deutlich sagen. Aber ich ecke auch mal an, das gehört zu meinem Amt. Die ZGF hat insgesamt aber ein gutes Standing, auch auf Bundesebene. Viele unserer Impulse und Projekte finden bundesweite Beachtung und oft auch Nachahmung.

Steht Ihre Arbeit in den sprichwörtlich „großen Fußstapfen“ Ihrer Vorgängerin?

Das empfinde ich nicht so. Meine Vorgängerin Ulrike Hauffe hat großartige Arbeit geleistet. Ich möchte aber keine Fußstapfen füllen, sondern eine eigene Spur ziehen – mit eigenen Arbeitsschwerpunkten und Methoden. Es wäre falsch, meiner Vorgängerin nachzueifern.

Wie sieht Ihr Weg aus?

Ich habe drei große Arbeitsfelder benannt, die aus meiner Sicht verstärkt zu bearbeiten sind – was mein Team und ich getan haben und 2019 fortsetzen werden. Das ist der Bereich Gewalt gegen Frauen, das Feld Frauen und Flucht und die Frage, wie mehr Mädchen für Mint-Berufe gewonnen werden können.

Welche konkreten Bedarfe machen Sie da aus?

Im Bereich Gewalt gegen Frauen setze ich mich für einen Landesaktionsplan und eine Koordinierungsstelle ein – und dafür, dass beides im nächsten Regierungsprogramm festgehalten wird. Bezüglich der Thematik Frauen mit Flucht­erfahrung konnten wir in einem umfangreichen Projekt Erkenntnisse über Hürden gewinnen, die dieser Gruppe Teilhabe und Integration erschweren – etwa unzureichende Kinderbetreuung für Sprachkurse. Nun stellen wir Verantwortlichkeit für diese Themen in der Politik her, um Maßnahmen auf den Weg zu bringen.

Was hat es mit den Mädchen in Mint-Berufen auf sich?

Das Berufswahlverhalten junger Menschen ist nach wie vor geschlechtsspezifisch geprägt. Hier ändert sich zwar etwas, aber nur sehr, sehr langsam – zu langsam. Uns geht es darum, Frauen und Mädchen für Berufe in technischen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Kontexten zu interessieren, zu stärken und ihnen diesen Bereich als Möglichkeit zu vermitteln. Dazu haben wir einen umfangreichen Projektantrag gestellt und hoffen auf Gelder, um ein Projekt zur klischeefreien Berufsorientierung auf die Beine zu stellen.

Ihr erstes Jahr im Amt war von kontroversen Debatten begleitet – etwa um den Paragrafen 219a.

Die Ergänzung des Landesgesetzes, für die ich mich stark gemacht habe, steht. Die Gesundheitssenatorin veröffentlicht als unabhängige Behörde Informationen über Arztpraxen, die Abtreibungen vornehmen. Auf dieser Liste stehen aktuell aber nur die Krankenhäuser und Pro Familia. Denn Ärztinnen und Ärzte möchten in der Öffentlichkeit nicht genannt werden, sie fürchten öffentliche Hetze, leider zurecht. Deshalb bin ich trotz unserer Landesinitiative unverändert davon überzeugt, dass Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, abgeschafft werden muss.

2019 beginnt mit dem aus feministischer Sicht fragwürdigen Eiswettfest. Festigt sich da das Problem der Un-Gleichberechtigung?

Ja. Man könnte es als Relikt vergangener Zeiten belächeln – wenn dort nicht Macht und Einfluss zusammenkämen, Netzwerke gefestigt und Geschäfte angebahnt würden. Der Ausschluss von Frauen ist eine massive Diskriminierung und ein Skandal. Da sind wir wieder bei der Verantwortung von Männern: Die Frauenrechte sollten den Männern, die das Eiswettfest besuchen und mit ihrer Anwesenheit stärken, endlich nicht mehr egal sein.

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