Die Wahrheit: Sind so kleine Hirne

Wer braucht noch einen Denkkasten? Ein Bericht aus einer Zeit, in der das Gehirn des „rudimentären Rezipienten“ stetig schrumpft.

Verschlungene Sache: Kleinhirn nach Art des Künstlers Michael Sailstorfer Foto: dpa

„Je kleiner eine Tierart, desto größer ist das Hirn im Verhältnis zum Körper“, besagt die Haller’sche Regel des kleinwüchsigen Naturforschers Albrecht von Haller (1708-1777). Das bedeutet: Der Körper schrumpft insgesamt stärker als das Hirn, wenn sich Lebewesen längerfristig verkleinern. Oder einfach gesagt: Je schrumpf, desto Großhirn.

Das gilt besonders für winzigkleine, staubkorngroße Tiere die allesamt mit einem Riesenhirn herumspringen. Weil ihr Hirn aber übermäßig groß ist, müssen die kleinen Megahirne ihre Hirnmasse im Brustbereich oder gar in den Beinen unterbringen, weil das Denkkasterl Kopf dafür zu klein ist.

Der moderne Mensch folgt seit geraumer Zeit der umgekehrten Haller’schen Regel, das heißt, er wird immer größer, bildet aber immer weniger Hirn aus, weil er es gar nicht mehr braucht. Denn der Mensch hat ja die neue künstliche Intelligenz, die er im Internet bestellt. Große Denkleistungen sind nicht mehr erforderlich: Wo früher mühsam mit den Fingern gerechnet wurde, reicht jetzt eine kurze Frage an die Rechenkünstlerin Alexa. Schreiben muss auch niemand mehr, kurz einen Befehl ins Mikro gebellt – und schon klingelt der Pizzabote.

Je weniger geschrieben und gelesen wird, desto mehr schnurrt das Hirn zusammen, und wer dann mit dem Kopf wackelt, bei dem klackert es leise unterm Schädeldach. Da der Kopf nicht mehr denken muss, kann er sich wichtigeren Dingen zuwenden: der Ausbildung einer schmückenden Haarpracht.

Ein seltsames Phänomen beobachteten jetzt besorgte Hirnforscher in Heidelberg, die feststellten, dass die wahrgenommene Welt ihrer Probanden signifikant schrumpft. Am frappantesten wurde das an Film- und Fernsehgewohnheiten deutlich. Während früher die Leinwände und Bildschirme stets größer wurden, starrt der moderne Schrumpfhirnjugendliche von heute zum Filmegucken auf ein zigarettenschachtelgroßes Display in seiner Hand.

Alles immer rudimentärer

Ein verhängnisvoller Teufelskreis: Der rudimentäre Rezipient sieht weniger, sein Hirn muss weniger Informationen verarbeiten und seine neuronalen Netze schnurren weiter zusammen. Die letzten großen Denkaufgaben werden dazu immer mehr von willfährigen künstlichen Helfern übernommen. Unfallfrei nach Hause zu kommen war eine große Geistesleistung, die unser Navi schon lange übernommen hat und den letzten Rest an autofahrerischer Autonomie wird uns schon bald das selbstfahrende Auto abgenommen haben.

Bald wird der Körper kein Gehirn mehr benötigen, es reicht dann eine zentrale Hirnzelle zum Ein- und Ausschalten morgens und abends. Oder andersrum und positiv ausgedrückt: Das Hirn braucht keinen Körper und kann ihn endlich verlassen.

Frei herumkriechen und neue Herausforderungen suchen! So könnte sich unser unterfordertes Gehirn intellektuell mit den geheimnisvollen Schleimpilzen austauschen, die erstaunlicherweise für ihre durchaus intelligenten Leistungen gar kein Gehirn benötigen. Eines wenigstens wird dann unser Hirn vom klugen Schleimpilz lernen: Der Trend geht eindeutig weg vom stationären zum frei vagabundierenden Hirn!

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kari

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