Frauen, Fußball und der Traum von Teheran

Marlene und Valerie Assmann spielen in Kreuzberg Fußball. Bei der Berlinale sahen die 23-Jährigen einen Film über Frauenfußball im Iran. Gemeinsam mit dessen Regisseur wollen die Schwestern nun ein Spiel organisieren. Ihr Mulitkultiteam gegen eine iranische Frauenmannschaft – in Teheran

„Als wir klein waren, haben uns unsere Eltern oft vorm Asylbewerberheim abgesetzt, damit die Migrantenkinder jemanden zum Spielen hatten“

VON MARTIN MACHOWECZ

Die Frau ist völlig verschleiert, selbst im Gesicht. Es ist heiß, die Sonne scheint grell und brennt auf den schwarzen Umhang. Die Frau spielt Fußball. Im Iran ist ihr das in der Öffentlichkeit verboten. Gleichzeitig läuft ein Freundschaftsspiel zwischen dem Iran und Deutschland, ein Heimspiel für die Iraner. Im Stadion herrscht Frauenverbot. Deshalb übt die Verschleierte hier, alleine, einsam. Eine Szene aus dem Film „Move it“ des iranischen Regisseurs Ayat Najafi, der auf dem Nachwuchsfestival der diesjährigen Berlinale prämiert wurde.

Die beiden Neuköllnerinnen Marlene und Valerie Assmann haben den Film dort zum ersten Mal gesehen. Sie waren selbst Teilnehmerinnen des Festivals. Auch in ihrem Film ging es um Fußball, nur ganz anders. Sie stellten ihre multikulturelle Frauenmannschaft aus Kreuzberg vor. Eigentlich wollte Marlene den Frauenfußball mit ihrem Film nur etwas populärer machen – in Deutschland. Doch Najafis Werk hat sie fasziniert. So sehr, dass sie jetzt dem Regisseur hilft bei seinem Kampf gegen die Unterdrückung der Frau – im Iran.

Vor kurzem hat Marlene das Land mit ihrer Schwester besucht. Sie haben Ayat Najafi getroffen und wichtige Kontakte geknüpft, sogar mit dem Präsidenten der größten Ölgesellschaft. Kontakte, die sie für ihre außergewöhnliche Idee dringend brauchen: Eine iranische Frauenmannschaft soll gegen das Kreuzberger Team von Marlene und Valerie spielen, in Teheran – und nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern im Stadion. „Männer werden dabei nicht zuschauen dürfen“, sagt Marlene. Wenn das Spiel überhaupt zustande käme, wäre das ein kleines Wunder.

Marlene sitzt mit ihrer Schwester Valerie auf dem Boden ihrer Neuköllner Wohnung und erzählt, wie die beiden 23-jährigen Schwestern zu Fußballfans wurden. Es begann 1990 mit jener Weltmeisterschaft, bei der die deutsche (Herren-)Fußballequipe zu letzten Mal den Titel holte. „Wir lebten damals in Israel, und selbst dort sprach jeder vom deutschen Erfolg“, sagt Marlene. Ihre Eltern sind renommierte Professoren, die Familie ist auf der ganzen Welt zu Hause. Zweimal wohnte sie in Konstanz, dazwischen in Los Angeles, Heidelberg und eben Israel. Egal, wo sich die Mädchen nach 1990 aufhalten: Der Fußball ist immer dabei. Sie spielen zuerst in Jungenmannschaften, später bei den Frauen. Mit denen klappt es aber nicht richtig.

Ein Zufall verändert alles. Bei einem Turnier lernen sie junge Türkinnen kennen. „Mit denen haben wir uns total gut verstanden“, sagt Marlene. Die Frauen gründen zusammen eine Mannschaft, mit Spielerinnen aus einer Kultur, die ganz anders ist als die deutsche. „Die Türkinnen hatten eigenartige Vorurteile. Sie dachten, Deutsche wären kalt und würden sich nicht umarmen. Die Mädchen hatten noch nie mit Deutschen zu tun, obwohl sie in Kreuzberg wohnten.“

Marlene und Valerie waren unvoreingenommen. „Es ist schon so, dass wir andere Kulturen besser verstehen als unsere eigene“, sagt Valerie Assmann. „Als wir noch klein waren, haben uns die Eltern immer vorm Asylbewerberheim abgesetzt, damit die Migrantenkinder jemanden zum Spielen hatten.“ Schon nach drei Monaten beschließen sie, einen Kurzfilm über ihre Mannschaft zu drehen, in der inzwischen auch Frauen anderer Nationalitäten spielen, und ihn beim Berlinale-Nachwuchsfestival einzureichen.

Es wird ein kurzer Streifen, drei Minuten lang, innerhalb einer Woche produziert – Marlene hatte erst kurz vor Abgabeschluss von dem Wettbewerb erfahren. Trotz des Zeitmangels gelingt der Film: Migrantinnen und Deutsche spielen überall in Berlin Fußball, im Bus, vor dem Brandenburger Tor, an bekannten Orten eben. Marlene wird zur Berlinale eingeladen, der Streifen vorgeführt.

Dort treffen sie also aufeinander, die beiden Frauenfußballfilme und die Lebenswege der Assmanns und der von Ayat Najafi. Und hier wird die Idee geboren, ein Fußballspiel zwischen Iranerinnen und Kreuzberger Fußballerinnen zu organisieren, im Iran. Das gab es noch nie. Nur als Ausländer hätten sie die Chance, dieses Spiel zu organisieren, weil sich der Iran im Ausland fortschrittlich präsentieren wolle, sagt Valerie Assmann. „Die Leute wollen ja Reformen. Aber sie sind zu ängstlich. Teheran ist eine Stadt der Angst.“

Marlene bindet sich ein Kopftuch um. Ganz behutsam verhüllt sie ihr Haar. „Siehst du, wie eingeschränkt Frauen dort sind?“, fragt sie. „Wenn sie im Laden Kopftücher anprobieren, müssen sie die so wechseln, dass keine Sekunde das Haar zu sehen ist.“ Man fühle sich so eingeschränkt. Einfach so auf der Straße ein Rad schlagen? Marlene würde es vielleicht machen, sie ist ein spontaner Mensch, eine freie Frau, die weiß, was sie will. „Aber das geht im Iran nicht. Da ist jede Gefühlsregung verpönt“, sagt Marlene. Sie will das ändern. Fußball werde im Iran immer begeistert aufgenommen – für sie ist es das perfekt geeignete Medium, um ihre Botschaft von der Freiheit zu transportieren. Weil der Fußball eben nicht nur ihr Leben ist, sondern auch das vieler Frauen im Iran.

Ayat Najafi schwärmt von der Zusammenarbeit mit Marlene und Valerie. „Wir fühlen uns wie ein einziger Mensch“, sagt er. Das gute Teamwork mache ihn optimistisch, dass das Projekt ein Erfolg wird. „Seit 1997 gab es einige soziale Fortschritte im Iran“, sagt er. Das Spiel könnte diesen Prozess weiter nach vorne bringen.

Einige Nachmittage später stehen Marlene und Valerie in voller Fußballmontur auf dem Kunstrasenplatz zwischen Anhalter Bahnhof und Tempodrom. Hier trainieren sie zweimal pro Woche. Es regnet ein bisschen. Deshalb sind heute nur sieben Frauen zum Training gekommen. Alle sind begeistert von dem Projekt, alle wollen nach Teheran reisen und Fußball spielen – auch, wenn sie Angst haben. „Das wäre bestimmt ein tolles Erlebnis“, sagt Hülya, eine der Spielerinnen. „Die Reise würde ich super finden.“ Wäre, würde – sicher klingt das nicht. Sie will zwar mitfahren, aber: „Mein Mann findet das nicht gut“, sagt die 25-Jährige. Außerdem steht bald ihre Prüfung zur Steuerfachangestellten an. Paros Boras wird mitkommen: Die 27-Jährige ist die Torhüterin des Teams. „Meine Eltern hätten Angst“, sagt sie. Aber sie wird zu Hause erzählen, dass die Mannschaft nach Italien fahre – weil das so ähnlich klingt. „Ich war erst besorgt wegen der Kopftücher und dem Stand der Frau im Iran. Aber wir wollen ja helfen.“ Sie spricht mit Ehrfurcht von der Fahrt.

Wie Marlene. Aus ihrer Stimme klingt Begeisterung, aber auch Mut und ein fester Wille. „Das Spiel wird einmalig. Wir alle werden mit Kopftuch spielen müssen, lange Hosen und knielange Mäntel ohne Taille tragen“, sagt sie.

Jetzt fehlen nur noch Sponsoren aus Deutschland. Iranische Unterstützer konnten sie gewinnen. Der Fußballspieler Ali Daei, der auch schon bei Hertha unter Vertrag stand, hat seine Hilfe zugesichert. Er ist im Iran Textilproduzent und stellt beispielsweise die Kleidung. „Wir dürfen sie selbst entwerfen. Irgendwie müssen wir noch verhindern, dass die Kopftücher beim Spiel vom Kopf der Frauen rutschen können. Das wäre fatal“, sagt Marlene Assmann.

Die Frauen suchen noch mehr Menschen, die mithelfen, besonders deutsche Firmen. Der Flug allein kostet viele tausend Euro – eine Firma, die das bezahlt, am besten ein Sponsor aus Deutschland, ist schwer zu finden.

Marlene, Valerie und Ayat Najafi wollen das Spiel mit Kameras festhalten, die Vorbereitungen filmen, einen Dokumentarfilm drehen, der vielleicht auf der nächsten Berlinale zu sehen ist. Die Veranstalter hätten schon ihre Zustimmung durchblicken lassen, sagt Valerie Assmann. Auf der Leinwand werden dann ausschließlich verhüllte Frauen zu sehen sein. Hoffentlich in einem Land, das dann ein kleines bisschen freier ist.