Schlachthof fressen Lunge auf

Ein Arbeiter im Kreis Cloppenburg ist an Tuberkulose gestorben. Er schuftete in einem Schlachthof der niederländischen Firma Vion. Arzt Florian Kossen hält die Arbeitsbedingungen im Schlachthof für mindestens mitverantwortlich

Wie von Motten zerfressen: Ein Röntgenbild zeigt die Wirkungen einer offenen Tuberkulose in der Lunge sichtbar Foto: Rainer Jensen /dpa

Von Lea Schweckendiek

In einem Schlachthof der Firma Vion in Emstek starb vor einigen Tagen ein Leiharbeiter an Tuberkulose – vermutlich auf Grund schlechter Arbeitsbedingungen. Zwei weitere Arbeiter*innen sind erkrankt. Aktivist*innen der Bremer „Animal Save Gruppe“ wundert das nicht. Sie haben schon lange vor dem Todesfall hängende Köpfe und leere Blicke beim Schichtwechsel im Betrieb der niederländischen Firma beobachtet.

Die Gruppe macht mit monatlichen Mahnwachen vor dem Schlachthof in Landkreis Cloppenburg auf die Situation aufmerksam. Was dabei dort zu sehen sei, ist der Aktivistin Insa Warms-Cangalovic zufolge schockierend: „Abgesehen davon, dass der Schlachthof aus Tierrechtssicht ein Schreckensort ist, ist er das auch auf menschlicher Ebene.“

Die fast ausschließlich rumänischen Arbeiter*innen würden, so berichtet sie, mit Bussen zum Schlachthof gebracht, nach Schichtende dort auch wieder abgeholt. Auf dem Weg dorthin mache der Bus einen Stopp am Billig-Discounter vor Ort – bevor es zurück in die Wohnanlagen gehe. Und auch die gestalten sich problematisch: Anwohner*innen vermuten, dass sich dort je drei Arbeiter*innen ein Bett teilen müssten – Schlaf und Arbeit im Schichtsystem.

Nicht zuletzt die Lebensumstände seien der Grund für den Ausbruch der Tuberkulose unter den Arbeiter*innen. Das jedenfalls vermutet Florian Kossen. Er ist Arzt im benachbarten Goldenstedt und behandelt immer wieder Krankheitsfälle von Arbeiter*innen des Schlachthofs. Auch drei Tuberkulosefälle werden derzeit in seiner Praxis behandelt, einer davon im direkten Umfeld des Emsteker Schlachthofes – die anderen zwei aus der Belegschaft eines weiteren Schlachtbetriebs der Region.

„Arbeitsbelastung und die Wohnverhältnisse können durchaus Teil des Krankheitsausbruchs sein“, so Florian Kossen. Zwar seien die Erreger vermutlich aus den bulgarischen und rumänischen Herkunftsländern mitgebracht, in denen die Krankheit noch weiter verbreitetet sei. Den Ausbruch jedoch fördere ein geschwächtes Immunsystem. „Bei der körperlichen Überlastung, aber auch in den überfüllten Unterkünften, die weder hygienisch noch in der Ausstattung ausreichend sind, übertragen sich Infektionen auch schneller.“

Zur Frage, ob sich die Krankheit auch über das Fleisch des Schlachthofs verbreiten kann, gibt es unterschiedliche Meinungen. Das niedersächsische Landesgesundheitsamt informiert online, dass eine Übertragung über Lebensmittel sehr selten, eine Schmierinfektion aber nicht auszuschließen sei. Entwarnung gibt hingegen das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose: Der Erreger müsse eingeatmet werden, informiert die hochspezialisierte Institution.

Peter Kossen, der Bruder des Arztes und katholischer Priester in Lengerich-Westfalen, predigte zuletzt in Vechta nahe der Gemeinde Emstek. Er kritisiert die Firma für die Arbeitssituation der Angestellten scharf: „Die Fleischindustrie behandelt im großen Stil Arbeitsmigranten wie Maschinen, die man bei externen Dienstleistern anmietet, benutzt und nach Verschleiß austauscht.“ Die Umstände in der Fleischbranche bezeichnet er als moderne Sklaverei. „In körperlicher Schwerstarbeit werden bei -18 Grad in endlosen Schichten Kisten geschleppt. Das verschleißt die Menschen.“

Tuberkulose, kurz TBC, wird auch als Schwindsucht oder weiße Pest bezeichnet. An der Krankheit sterben in Deutschland rund 100 Menschen jährlich.

Erreger der Krankheit können nicht vom Immunsystem abgewehrt werden. Ein Ausbruch der Krankheit findet aber in der Regel erst statt, wenn das Immunsystem geschwächt ist.

Erst offene Tuberkulose, also ausgebrochene, ist ansteckend. Wie die Grippe wird sie über Tröpfchen, zum Beispiel durch Husten, übertragen.

Die Symptome sind ähnlich denen einer Lungenentzündung, denn angegriffen werden vor allem Luftwege und Bronchien.

Die Therapie kann Monate oder Jahre dauern, denn unter Umständen sind die Keime Antibiotika-resistent.

Dass eine Ausbeutung in solcher Form im deutschen Rechtssystem ungestraft bleibt, hat für Peter Kossen verschiedene Gründe: „Der lange Arm der Firmen reicht bis in die Politik.“ Die Lobby sei vor Ort so stark, dass auch die kommunale Politik nicht handle. „Selbst geltendes Recht wird nicht durchgesetzt“, sagt Kossen.

So etwa beim Mindestlohn. Den, so Peter Kossen, umgehe man eben mit zahlreichen unbezahlten Überstunden. Auch bediene sich der Schlachthof illegaler Methoden: Werkzeuge müssten von den Arbeitenden gegen Geld angemietet werden – eine Methode, die eigentlich nicht erlaubt ist. Oft bewege man sich aber auch in legalen Bereichen – es würden gesetzliche Schlupflöcher gefunden.

„Dass ein solch menschenverachtendes System in unserem Land existieren kann und darf, ist unglaublich“, findet auch Warms-Cangalovic. Sie hofft gemeinsam mit der Bremer „Animal Save Gruppe“ auf öffentliche Aufmerksamkeit und darauf, dass sich nach dem Todesfall nun endlich etwas ändert – nicht nur für die Tiere.