zwischen den rillen
: Wie ein Eigelb im Traum

Agar Agar: „The Dog and the Future“ (Cracki)

„In der Kunst nimmt man sich Dinge, die eigentlich nicht zusammengehören, und kreiert daraus etwas genuin Neues. Das Unerwartete ist wie ein Traum“, erklärt Armand ­Bultheel. Mit seiner Bandpartnerin Clara Cappagli erschließt er unbekanntes musikalisches Terrain. „Täte man dies nicht, würde man nur sich und andere Leute befriedigen“, sagt der Franzose. Und Cappagli ergänzt: „Im Grunde geht es bei Kunst doch darum, Menschen in eine Fantasiewelt zu versetzen. Oder ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre eigene zu erschaffen.“

Bultheel und Cappagli machen Musik als Agar Agar. Kennengelernt haben sie sich vor einigen Jahren an der École des beaux-arts in Cergy. Deren Studios und Ateliers hat das Duo mittlerweile gegen die Clubs seiner Heimatstadt Paris eingetauscht. Benannt sind sie nach dem Geliermittel Agar-Agar, das in einigen Tierfutter-Sorten vorkommt. Armand Bultheel ist es ein Begriff, seit er seine Ameisenfarm mit diesem Gelier- und Futtermittel versorgt hat.

Wie es zu dem Hund im Titel ihres Debütalbums („The Dog and the Future“) kommt, wollen Agar Agar partout nicht verraten. Ebenso wenig, warum auf seinem Cover die Sonne wie ein Eigelb aufgeht. „Wir benutzen Instinkt und Intuition, um neue Beschreibungen und Klänge zu finden. Wir wollen das Material aber nicht zu sehr überfrachten. Was wir tun, muss raus. Ganz spontan“, sagt Bultheel.

Die musikalischen Mittel, die Agar Agar dafür wählen, sind vor allem Synthesizer aus verschiedenen Jahrzehnten, die Armand Bultheel sammelt. Sie gesellen sich an die Seite von Drumcomputern und der Vokalkunst von Clara Cappagli. Slow-Disco-Tunes und technoide Rhythmen wechseln sich ab mit Klangteppichen, auf denen man durch ein Synthesizer-Universum gleitet. Clara Capaggli hat eine Vergangenheit als Sängerin einer Garage-Rock-Band, während der Synthesizer-Fan Bultheel sich mit Zukunftsvisionen beschäftigt: „Je intensiver wir uns mit Zeit auseinandersetzen und unsere Vergangenheit erforschen, desto mehr erfahren wir über unsere Zukunft. Wir können heute tiefer in die Vergangenheit und damit tiefer in die Zukunft eintauchen, als zu jedem anderen Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte.“ Auch ihr Album „The Dog and the Future“ vollzieht eine Art Zeitreise, indem Agar Agar ihr altes Equipment mit modernen Drum-Machines zusammenführen. Die Musik wird zur Mittlerin zwischen den Zeiten.

Neben all der Reflexion von Zeit und Raum bleibt auf „The Dog and the Future“ auch Platz für fantasievolle und sanft abgedrehte Geschichten. ­Bultheel schlüpft in seiner eigenen Musik schon mal in andere Charaktere. In dem Instrumental-Stück „Schlaflied für gestern“ begleitet er eine Freundin beim Einschlafen, will mit der Musik in den Schlaf der anderen gelangen. „Gleichzeitig fühlte ich, dass ich das als anderer Charakter tat“, sagt der 27-Jährige, „ein Charakter, der sich als ein deutsches Mädchen manifestiert hat, das vielleicht aus der Zukunft kommt. Sie hat das Stück komponiert, als Teil von mir.“

Auch die 25-jährige Ca­paggli nimmt mit ihrem Gesang unterschiedliche Rollen ein, präsentiert die Songs sowohl in sanft gesungenen Passagen als auch exaltiert, fast gesprochen, mit einer Stimme, die oft von Effektgeräten verändert wird.

Die Labyrinthe erscheinen plötzlich doch gar nicht mehr so ausweglos

Ihre Themen speisen sich ebenfalls aus der Traumwelt. In „Gigi Song“ etwa macht Capaggli aus einem verstörenden Traum ein Manifest für elterliche Liebe. So erscheinen die Labyrinthe, in die Agar Agar ihre HörerInnen mit ihrer retrofuturistischen Maschinenmusik versetzen, letztendlich gar nicht mehr so ausweglos, sondern wie eine Welt, in der man sich gerne verliert.

Diviam Hoffmann