Gestatten, Piazolo!

Nach 72 Jahren in CSU-Hand geht das bayerische Kultusministerium erstmals an eine andere Partei – an die Freien Wähler.
Doch wer ist der Neuling, der im Freistaat künftig über Lehrpläne, Inklusion und Smartphones im Unterricht entscheidet?

„Das war von Anfang an klar, dass ich nicht den Lautsprecher mache“: der neue bayerische Kultusminister Michael Piazolo Foto: Jörg Koopmann

Aus München Dominik Baur

Nein, viel Aufsehen hat es nicht gerade gegeben, aber das ist bei diesem Mann normal. Trotzdem: Es war ein historischer Moment, als Michael Piazolo Mitte November sein neues Büro am Münchner Salvatorplatz bezogen hat. 72 – in Worten: zweiundsiebzig – Jahre lang hat im bayerischen Kultusministerium kein Politiker einer anderen Partei als der CSU das Sagen gehabt. Franz Fendt von der SPD war im Jahr 1946 der letzte. Und jetzt: ein Freier Wähler.

Dabei ist das bayerische Kultusministerium nicht irgendein Ministerium. Bildungspolitik, das ist der Inbegriff des Föderalismus. Und Föderalismus, das ist CSU. Gern hat die CSU nach ihrem Wahldesaster sicherlich auch das Wirtschafts- und das Umweltministerium nicht an den neuen Koalitionspartner abgegeben, aber das Kulturministerium – das muss richtig weh getan haben. Viele hatten Michael Piazolo als Wissenschaftsminister gesehen, hätte ja auch irgendwie gepasst zu einem Professor. Aber das Kultusministerium hat dann doch das größere Gewicht – und ist näher dran am „kleinen Mann“, der den Freien Wählern so wichtig ist. Dass es nun mit diesem Schlüsselressort geklappt habe, das habe ihn schon besonders gefreut, sagt Piazolo und fügt noch etwas von Demut und Spaß hinzu. Den wird er nun haben mit Themen wie Lehrermangel, Ganztagsschule und Handyverbot.

Piazolo, 59 Jahre alt, ledig, sitzt an diesem langen ovalen Holztisch, den einst sein Vorvorgänger Ludwig Spaenle in das Ministerbüro hat stellen lassen. Ein wuchtiges, etwa einen Meter hohes Kruzifix gleich neben der Tür, ein massiver alter Holzschrank, an den Wänden drei dunkle Landschaftsgemälde: Die Einrichtung des Zimmers trägt bislang ausschließlich die Handschrift von Piazolos Vorgängern, darunter neben Spaen­le weitere prominente Namen wie Alois Hundhammer, Hans Maier, Hans Zehetmair und Monika Hohlmeier.

Piazolo stammt aus Stuttgart, erst zum Jurastudium kam er nach München. Die Eltern: Lehrer. Zunächst schlug Piazolo eine Akademikerlaufbahn ein, lehrte an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, hatte dann in Berlin und München Professuren inne, bevor er – zu seiner eigenen Überraschung – in der Berufspolitik landete.

Eigentlich sollte er nur mal einen Vortrag bei der Münchner Gruppe der Freien Wähler zum Thema „direkte Demokratie“ halten. Um die Jahrtausendwende herum war das. Doch dann hat es irgendwie gefunkt. Piazolo wurde Mitglied, engagierte sich im Kommunalen und ließ sich 2008 schließlich für die Landtagswahl aufstellen – ohne sich freilich Chancen auszurechnen. Das gute Ergebnis der Freien Wähler bei der Landtagswahl bescherte ihm dann allerdings den Einzug in den Landtag. „Ich wusste erst am Dienstag nach der Wahl um 12 Uhr, dass ich in den Landtag gekommen bin“, erzählt er, „gerechnet habe ich damit nicht. Deshalb musste ich dann auch erst mal einen Tag lang überlegen. Wollte ich wirklich meine Arbeit als Professor aufgeben?“ Er wollte. 2010 wurde er auch noch Generalsekretär der Partei, galt schließlich als zweiter Mann in der Partei – gleich hinter dem omnipräsenten Vorsitzenden Hubert Aiwanger.

Piazolo ist über die Parteigrenzen hinweg beliebt und fachlich anerkannt. „Persönlich mag ich ihn gern“, erzählt etwa Thomas Gehring, bildungspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, der jahrelang mit Piazolo gemeinsam die Oppositionsbank gedrückt hat. „Ein sehr rechtschaffener Abgeordneter“, sagt er, „der seine Arbeit gut macht.“

Freundlich, besonnen, zurückhaltend, das sind die Eigenschaften, die man dem schlaksigen Mann mit der kleinen Brille zuschreibt. Und leise. Im Parlament sucht er sich gern einen Platz in der dritten, vierten Reihe, bei gemeinsamen Pressekonferenzen mit Aiwanger überlässt er diesem das Wort. Als Generalsekretär ist er streng genommen eine Fehlbesetzung. Doch eine Partei mit einem Aiwanger an der Spitze hat andere Anforderungen an dieses Amt. „Das war von Anfang an klar, dass ich nicht den Lautsprecher mache“, sagt Piazolo. Dies überließ er dem Parteichef. Als Generalsekretär konzentrierte er sich auf anderes – die Vorbereitung von Volksbegehren etwa. 2013 brachte er ein Volksbegehren auf den Weg, das die Studiengebühren zu Fall brachte. Ein Jahr später folgte ein weiteres gegen das G 8. Das scheiterte zwar, das achtjährige Gymnasium wurde später dennoch abgeschafft.

Als den „Anti-Aiwanger“ haben ihn Süddeutsche Zeitung und Münchner Merkur nach der Wahl unisono bezeichnet. Großstädtisch, intellektuell, so gar nicht hemdsärmelig: Piazolo passt halt nicht in das Bild, das die Freien Wähler sonst abgeben. Aber es gebe eben nicht nur den Klischee-Freien-Wähler. Armin Grein beispielsweise, der die Partei vor Aiwanger 28 Jahre lang geführt hat, sei Lehrer gewesen und auch kein lauter Typ, sagt Piazolo. Und natürlich gebe es auch Großstädter unter den Freien Wähler, seit der Wahl seien es nun auch in der Fraktion wieder zwei.

Es gibt etliche Baustellen, die nun auf den neuen Kultusminister zukommen. So muss er die Rückkehr zu G 9 möglichst geschmeidig gestalten. Aber auch Integration, Inklusion, Digitalisierung, Ganztagsunterricht, flächendeckende Schulversorgung, der Übertritt zum Gymnasium und natürlich der Lehrermangel sind Themen, die angepackt werden müssen – und die die Regierung nach Meinung einiger Kritiker viel zu lange hat schleifen lassen. Sogar das Handyverbot an Schulen wird heiß diskutiert, Piazolo will es lockern.

Den Einschulungstermin hat der neue Minister in großer Eile gleich mal vom 30. September auf den 30. Juni vorgezogen. Zu vielen anderen Themen äußert er sich bislang aber vage, auch der Koalitionsvertrag gibt nur ungenaue Anhaltspunkte, in welche Richtung es gehen soll. So fordert der Grüne Gehring etwa, den Übertritt zum Gymnasium von dem Druck zu befreien, die Prüfungen durch ein qualifiziertes Elternwahlrecht zu ersetzen. Piazolo bleibt im Ungefähren: Ein bisschen Druck solle schon sein, man müsse ihn nur dämpfen, mit Eltern sprechen und, und, und …

Die Eltern Lehrer – er selbst in München und Berlin Professor

Beim Thema Digitalisierung sei man noch in der „Findungsphase“, sagt Piazolo auch. Klingt im Jahr 2018 ein bisschen nach Angela Merkel, die 2013 reichlich Spott ertragen musste, als sie bemerkte, das Internet sei für uns alle noch Neuland. Ganzheitlich müsse man die Digitalisierung betrachten, fordert Piazolo, von der Ausrüstung bis zur Lehrerfortbildung. „Das Entscheidende aber ist der didaktisch-pädagogische Mehrwert. Etwas überspitzt gesagt: Mir ist ein guter Unterricht mit Kreide und Tafel lieber als ein schlechter Unterricht am Whiteboard.“ Der Einführung eines neuen Schulfachs Medienkompetenz steht er skeptisch gegenüber. Die Ablehnung des Digitalpakts durch die Bundesländer befürwortet er allerdings, auch wenn dem Freistaat dadurch erst mal Millionensummen entgehen. Schließlich gelte es, die Kulturhoheit der Länder zu bewahren.

Eine Haltung, die Simone Fleischmann völlig unverständlich ist. „Wir verpennen die Entwicklung“, schimpft die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. „Hallo? Es sollte jetzt endlich mal an der Schule vor Ort was ankommen. Wir machen uns lächerlich. Man glaubt nicht mehr daran, dass die für die Schüler notwendigen Maßnahmen ergriffen werden.“ Stattdessen gehe es nur noch um Machtstrukturen. „Nur darum, wer die Milliarden verwaltet.“

Ein massives Problem bleibt weiterhin der Unterrichtsausfall in Bayern. Über sechs Millionen Unterrichtsstunden, rechnet etwa die SPD vor, fielen jährlich aus, rund acht Prozent des gesamten Unterrichts. Das Kultusministerium definiert Unterrichtsausfall anders, zählt nur Stunden, für die es keinen Ersatz zum Beispiel in Form von Hausaufgabenbetreuung gibt, und kommt auf gerade einmal 1,6 Prozent. Die im Koalitionsvertrag versprochenen 5.000 neuen Lehrerstellen jedenfalls sind mehr als notwendig – zumal wenn das Ganztagsangebot ausgebaut werden soll. Bloß: Die Stellen allein genügen nicht, wenn es – wie im Grund- und Mittelschulbereich – keine Bewerber gibt.

Nach Ansicht Fleischmanns ist der Lehrerberuf gerade an diesen Schulen einfach nicht attraktiv genug – schon gar nicht bei der derzeitigen Bezahlung. „A 13 für alle“, hatte Aiwanger im Wahlkampf noch getönt. In diesem Punkt habe man sich nicht durchsetzen können, gibt Piazolo zu. „Eingeknickt sind sie“, sagt Thomas Gehring.

Ob mit Piazolo nun tatsächlich nach all den Maiers, Zehetmairs und Hohlmeiers eine neue Ära anbricht, oder ob sich seine Schulpolitik am Ende als dasselbe wie bisher, nur in Orange, entpuppen wird, ist noch nicht raus. Er selbst gibt sich pragmatisch: „Mir ist es nicht so wichtig, dass man merken muss, dass die CSU nicht mehr im Ministerium sitzt. Mir geht es um die Sache.“ Simone Fleischmann will dem Neuen jedenfalls eine Chance geben. „Wir zählen auf seine scharfe Analysekraft, seine bildungspolitische Expertise und seine sehr ausgeglichene menschliche Art“, schmeichelt sie. Sie macht aber auch klar: „Wir brauchen jetzt spürbare Verbesserungen. Versprechungen kennen wir, aber die Kollegen sagen zu mir: ,Bei mir in der 7 c kommt nichts davon an.' Die Sonntagsreden haben wir satt.“