„Es geht nicht nur um Asphalt gegen Pflaster“

Den Dauerstreit ums historische Pflaster soll ein neuer Stein beilegen. Staatsrat Jens Deutschendorf und Ini-Sprecher Klaus Schloesser erläutern die Lösung

Schön fürs Auge, desaströs für Rollstuhl-, Kinderwagen- und Radfahrende: Der Pflasterkompromiss von der Ritterstraße soll beide Seiten versöhnen und Modell für die ganze Stadt werden Foto: Jean Philipp Baeck

Interview Klaus Wolschner

taz: Quer durch Bremen gibt es verärgerte Bürgerinitiativen, die Sturm laufen gegen den Bausenator wegen Planungen und der Art, wie kommuniziert werden. Muss das sein?

Jens Deutschendorf: Das Handeln des Senators betrifft die Menschen, klar, es gibt viele Beteiligungsprozesse und an einigen Stellen auch Widerstand. Beim Thema Pflaster auch. In diesem Falle ist es uns mit dem „Runden Tisch“ gelungen, die anfängliche Konfrontation zu überwinden. Eine wertschätzende Diskussion hat am Ende zu einem guten Ergebnis geführt. Das ist ein gutes Beispiel.

Warum war das im Kampf um die Ritterstraße nicht möglich?

Klaus Schloesser: Wir waren in der Hollerstraße eine von diesen Bürgerinitiativen, mit guten Argumenten. Wir hatten die Ritterstraße erlebt, wo das Bauressort gegen das eindeutige Votum der Anwohner und gegen Beiratsbeschlüsse gesagt hat: Hier wird asphaltiert. In der Hollerstraße gab es bei einer Anwohnerversammlung auch die klare Ansage: Wir reißen ein halbes Jahr eure Straße auf, hinterher kriegt ihr Asphalt, das werde künftig im gesamten Viertel so gemacht. Das hatte mit Bürgerdialog nichts zu tun. Wir haben uns dann mit anderen Betroffenen zusammengetan. Konkret war das für den Sielpfad, aber auf der Liste stehen weitere Wohnstraßen. Da ist die Baubehörde sensibel geworden, immerhin steht da eine traditionelle Hochburg der Grünen gegen den grünen Bausenator.

Man kennt sich auch im grünen Milieu?

KS: Sicherlich. Wir haben uns mal mit einem Vertreter der Behörde in der Kneipe getroffen. Wir haben uns gemeinsam gefragt: Gibt es eine Chance, diese Konfrontation zu überwinden?

Mit wem?

KS: Darf ich das sagen? Jens Tittmann, dem Behördensprecher. Immerhin geht es um ein Konfliktpotenzial, das die nächsten 30 Jahre schwelen wird, Wohnstraße für Wohnstraße.

Die Lösung des Konflikts ermöglicht ein Betonstein mit Naturstein-Anmutung. Wie kann es sein, dass niemand in den Bremer Amtsstuben diese Idee von sich aus hatte?

JD: Das, was wir vereinbart haben, geht hinaus über die Verwendung dieses Steins. Es geht nicht nur um Asphalt gegen Pflaster, wo dieser Stein ein Kompromiss sein kann. Es geht aber darüber hinaus um die Interessen der Rollstuhl- und der Fahrradfahrer. Und es geht um die städtebauliche Qualität des Viertels, die es zu erhalten gilt.

Wenn das Amt für Straßen und Verkehr (ASV) den Anwohnern der Ritterstraße gesagt hätte: Wir haben hier einen schönen Stein, dann wäre die BI nicht zufrieden gewesen?

JD: Ich war bei der Diskussion in der Ritterstraße noch nicht dabei, aber wir hoffen, dass dieser Stein als Straßenbelang in Zukunft die Anwohner überzeugt.

KS: Ich habe diesen Stein ja mit entdeckt, als wir dieses Betonsteinwerk besucht haben. Das ist ein Kompromiss. Natürlich kein echtes Kopfsteinpflaster, aber deutlich preiswerter als glatt geschliffenes Kopfsteinpflaster. Es ist optisch ansprechend und gleichzeitig Fahrrad- und Rollstuhl-freundlich.

Mit diesem Stein wird das ASV keinen Asphalt mehr für Straßen vorschlagen, die bisher Kopfsteinpflaster hatten?

KS: Richtig. Das ist ein großer Erfolg. Am Anfang hieß es: Das Viertel kriegt nur noch Asphalt, jetzt haben wir Lösungen ganz ohne neuen Asphalt.

Foto: privat

Klaus Schloesser, 64, Journalist, erst taz, unter Henning Scherf Sprecher des Senats, ist Sprecher der Bürger-Initiative Hollerstraße

JD: Die Fahrrad-Achsen, wir nennen das „Kategorie 1“, sind asphaltiert, das bleiben sie auch. Es gibt reine Anwohnerstraßen, da sagen wir: Da kann man das Pflaster wieder verwerten, in der Mitte soll es aber einen Streifen mit Betonsteinen für die Fahrräder geben. Und breite Bürgersteige für die Rollstühle.

Und wo wird der neue Stein Verwendung finden?

JD: Nach unserem Vorschlag in Wohnstraßen, die mehr Fahrradverkehr haben. Das ist für uns eine mittlere Kategorie 2.

KS: Auch die Freunde des Kopfsteinpflasters sagen natürlich: Barrierefreiheit muss sein. Fahrradfreundlichkeit auch. Aber in reinen Anwohnerstraßen, die keine Bedeutung haben für die Erschließung des Viertels, können die Pflastersteine bleiben. Was nach diesem Runden Tisch nicht mehr geht, ist, dass Behörden kommen und sagen: Wir sind die Profis und auf der anderen Seite steht eine Laienspielschar, die sich „Bürger“ nennt.

Ging der Rollenwechsel reibungslos – vom Senatssprecher zum BI-Krawallmacher?

KS: Als ich aus dem Rathaus ausgeschieden bin, hatte ich den Vorsatz, mich nicht mehr einzumischen in die öffentlichen Angelegenheiten. Dass mich ein grüner Bausenator so aus der Reserve lockt, war nicht vorgesehen.

Es gibt auch das Konzept „Mischformen“, Shared Space. Eine Fläche für alle. Warum muss es in der Hollerstraße Bordsteinkanten geben?

KS: Vernünftige Verkehrsteilnehmer nehmen Rücksicht aufeinander. Das ist die Idee von Shared Space. Wir erleben aber auch Rücksichtslosigkeit. Gegen den großen SUV in der kleinen Wohnstraße ist die Bordsteinkante ein echter Schutz für Rollstuhlfahrer. Die Gehwege müssen entsprechend breit sein. Die Frage ist natürlich, wie schützen wir diese Gehwege davor, ständig zugeparkt zu werden.

JD: Shared Space ist möglich, wenn die Anwohner das wollen. Der gemeinsame Verkehrsbereich muss natürlich sichtbar gegliedert werden. Das ist zum Beispiel mit diesem neuen Stein, der in verschiedenen Farben geliefert werden kann, möglich.

Wie viel Geld ist im Topf, um das Viertel Fahrrad- und Rollstuhl-freundlicher und gleichzeitig schöner zu machen?

JD: Es gibt vor allem Handlungsbedarf, wenn eine Straße Schäden aufweist. Sonst orientiert sich die Erneuerung der Straßenoberfläche oft am Kanalbau.

Foto: SUBV

Jens Deutschendorf, 41, seit 2017 Staatsrat für Bau und Verkehr. Zuvor war der Grünenpolitiker Vize-Landrat im Kreis Waldeck (Hessen).

Das heißt, es geht im kommenden Jahr um Hollerstraße und Sielpfad, zwei Magistralen durch das Viertel.

JD: Die stehen bei Hansewasser vorn auf der Liste.

Wenn die Anwohner in einer schönen Straße in Findorff bei einer Kanalsanierung sagen, unsere städtebauliche Qualität ist mindestens so groß wie die der Hollerstraße, wir möchten diesen schönen neuen Stein haben. Was sagt der Bausenator dann?

JD: Wenn der Landesdenkmalpfleger dem Quartier in Findorff eine so hohe historische Bedeutung wie dem Viertel attestiert, gilt dort das gleiche. Vorausgesetzt die Baudeputation segnet den Kompromiss ab, sodass er Bremen-weite Gültigkeit erhält.

Das heißt: Wenn Straßen bisher in Asphalt ausgeführt waren, bleiben sie in Asphalt?

JD: Man wird, genau wie wir das für das Viertel gemacht haben, auch die Fahrradrouten betrachten. Für den ADFC ist der Asphalt da die erste Wahl.