Fair und gerecht das Werk, die Frau mit grünem Button

In Berlin fand am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste eine Konferenz zum 20. Jahrestag der Washingtoner Erklärung 1998 statt

Allein 2018 wurden 43.525 geraubte Werke in die Datenbank „Lost Art“ aufgenommen

Von Brigitte Werneburg

1994, beim 63. deutsch-französischen Gipfeltreffen, gab Bundeskanzler Helmut Kohl im elsässischen Mulhouse dem französischen Premier François Mitterrand 28 im Zweiten Weltkrieg von den Nazis aus französischen Museen geraubte Gemälde zurück. Sie waren in der Nationalgalerie der DDR aufgetaucht. Mitterrand bedankte sich artig, sprach aber davon, dass er sich vorstellen könne, welche Sorgen diese Rückgabe Museumsleuten in Europa bereiten müsse, arbeiteten sie doch alle in Sammlungen, deren Geschichte man aus einsichtigen Gründen lieber nicht so genau kennen möchte. An späterer Stelle seiner Dankesrede zeigte er sich deshalb davon überzeugt, dass der Vorgang in Mulhouse einmalig bleiben würde. Seine Rede referierte Bénédicte Savoy am Montag in ihrem Vortrag auf der Konferenz des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste „20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft“, die bis gestern in Berlin stattfand.

Wie man weiß, kam es anders. Das ist vor allem das Verdienst der „Konferenz über Vermögenswerte der Holocaust-Ära“, die der damalige US-Finanzstaatssekretär Stuart Eizenstat im Herbst 1998 in Washington, D. C. einberufen hatte. 44 Staaten unterzeichneten am Ende die „Washingtoner Prinzipien“. Damit wurde die Restitution der Kunstgegenstände, die jüdischen Eigentümern durch das NS-Regime und seine Kollaborateure geraubt und abgepresst worden waren, auf eine verbindliche Grundlage gestellt. Punkt acht der elf Prinzipien, der von den nötigen Schritten sprach, die unternommen werden sollten, „um eine gerechte und faire Lösung zu finden“, entfaltete dabei die größte Wirkung.

20 Jahre ist das nun her. 20 Jahre mit denen niemand gerechnet hatte. Denn dass man damals glaubte, die Washingtoner Prinzipien kämen zwangsläufig nur kurzfristig zum Einsatz, war jetzt durchgängig auf der Konferenz zum Jahrestag zu hören. Die Entwicklung war eine andere. Das zeigt etwa die entsprechend den Prinzipien eingerichtete Datenbank „Lost Art“. Wurden hier im Jahr 2002 erst 747 Einzelobjekte eingestellt, so waren es im Jahr 2008 schon 6.757 und 2018 unglaubliche 43.525, wie Michael Franz von der Zentralstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg berichtete.

Zur fairen und gerechten Lösung gehört inzwischen in Deutschland, aber auch in Frankreich die proaktive Forschung nach Raubkunst. Die Recherchen des Museums Lüneburg führten so etwa die weltweit verstreuten Nachkommen von Marcus Heinemann wieder zusammen wie Becky Cohn-Vargas und Anneke de Rudder erzählten. Erfahrungsberichte vonseiten der internationalen Institutionen wie der Erben und Erbenvertreter dominierten die Veranstaltung, immer wieder gemischt mit Verbesserungsvorschlägen und kritischen Anmerkungen zur gegenwärtigen Situation.

Gefordert wurde eine gesetzliche Absicherung, möglichst in Form einer multinational gültigen Definition der Verfahren, und die Stärkung der Provenienzforschung als Basis jeglicher fairen und gerechten Lösung. Hier hat denn auch das Ideal von fair und gerecht noch eine ganz andere, aktuelle Bedeutung. Leon­hard Weidinger aus Wien bat im Lauf seines Vortrags über die digitalen Möglichkeiten der Forschung die anwesenden Provenienzforscher aufzustehen. Es erhob sich der halbe Saal. Als er diejenigen mit einer unbefristeten Stelle bat, sich wieder zu setzen, rührte sich kaum jemand. Die, die standen, fast ausschließlich Frauen, trugen einen grünen Button, um ihre prekäre Beschäftigungssituation kenntlich zu machen. Ihnen werden durch die patriarchale Gesellschafts- wie auch Wissenschaftsordnung also Verdienst- und Karrierechancen vorenthalten und verweigert. Erst wenn sie, die die grundlegende Arbeit machen, über Lehrstühle und Forschungsbudgets verfügen, kann von einer Erfolgsgeschichte der Washingtoner Prinzipien gesprochen werden.