„Wir können die Welt verändern“

Vor 25 Jahren begann Solidarność, das kommunistische Regime in Polen zu stürzen. Ein Interview mit Barbara Labuda, die 1980 zur Bewegung gehörte und heute Ministerin in der Präsidialkanzlei des Exkommunisten Kwaśniewski ist

taz: Wałęsa will die Solidarność nach den 25-Jahr-Feiern verlassen. Verstehen Sie seine Entscheidung?

Barbara Labuda: Die heutige Solidarność ist keine Freiheitsbewegung mehr, sondern ist eine klassische Gewerkschaft geworden. Noch dazu eine mit sehr konservativen Ansichten. Es sind schon viele ausgetreten. Nun also Wałęsa. Das ist ganz normal. Was hat er noch mit dieser Gewerkschaft zu tun? Wałęsa war ein legendärer Arbeiter- und Freiheitsheld. Das wird er bleiben, egal ob er heute bei Solidarność ist oder nicht.

Was ist Solidarność für Sie 25 Jahre später?

Für mich war die Solidarność eine Organisation, die Menschen mit unterschiedlichsten politischen Überzeugungen anzog: Christdemokraten, Liberale und Sozialisten, Modernisten und Traditionalisten. Wir haben uns gegenseitig akzeptiert. Das fasziniert mich bis heute, diese Toleranz. Damals hatten wir ein gemeinsames Ziel. Das ist jetzt verschwunden. Gott sei Dank. Das totalitäre System ist zusammengebrochen – dank uns, dank der Solidarność. Seitdem gehen wir wieder unsere eigenen Wege.

Ist das gut so? Oder sehnen Sie sich danach zurück?

Für mich war die Solidarność-Zeit etwas Wunderbares. Ich war von Anfang an dabei, habe die Freiheitsbewegung in Breslau mitbegründet. Das war die schönste Zeit meines politischen Lebens. Zurück möchte ich dennoch nicht. Heute bauen wir die Demokratie auf. Das ist schwerer, als wir dachten. Aber dafür haben wir gekämpft. Das wollten wir. Und das tun wir auch jetzt.

Sie sind 1992 aus der Solidarność ausgetreten. Warum?

Um meinen Idealen treu bleiben zu können. Ich kämpfte für ein liberales Polen – mit Freiheitsrechten auch für die Frauen und die Minderheiten. 1995 kandidierten Lech Wałęsa und Aleksander Kwaśniewski für das Präsidentenamt. Wałęsa war ein Freiheitsheld, aber kein guter Präsident. So unterstützte ich Kwaśniewski. Er kam zwar aus der KP, die ich wenige Jahre zuvor selbst noch bekämpft hatte. Aber er schien mir offen und liberal zu sein. Er wollte ein Präsident „aller Polen“ sein. Das hat mir imponiert.

Das hat Ihnen den Vorwurf des „Verrats“ eingebracht. Schmerzt das noch immer?

Ja, aber ich bin stark genug, das auszuhalten. Die Entscheidung für Kwaśniewski war richtig. Damals haben viele Solidarność-Mitglieder gegen Wałęsa gestimmt, sich aber nicht getraut, es offen zuzugeben. Ich kannte Kwaśniewski aus dem Sejm. Er war Abgeordneter wie ich, und er hatte einige meiner Gesetzesvorhaben unterstützt, auch das über Sexualunterricht in der Schule. Das Gesetz kam durch Sejm und Senat, was im konservativen Polen ein großer Erfolg war. Die Kirche kritisierte mich heftig. Priester schimpften von der Kanzel auf mich herab. Wałęsa legte dann sein Präsidentenveto ein, das Gesetz wanderte in den Papierkorb.

Gibt es noch den Hass von damals, aus den 80er-Jahren?

Nein. Selbst Wałęsa und Kwaśniewski haben sich inzwischen versöhnt. Polen hat sich verändert. Der Hass ebbt ab. Die Oppositionellen wurden über Jahre verfolgt, schikaniert und saßen jahrelang im Gefängnis. Die Parteifunktionäre andererseits verloren durch uns ihre Privilegien. Es war für uns alle schwer, den Hass zu besiegen. Doch was heute zählt, ist nicht mehr die politische Herkunft, sondern das, was jemand tut und denkt.

Was ist das Erbe der Solidarność?

Wir haben gezeigt, dass man die Welt verändern kann, wenn man nur will. 1980 haben wir in Polen einen Prozess begonnen, von dem alle gesagt haben, dass er zu nichts führt, weil die Partei niemals ihre Macht abgeben wird. Solidarność aber hat gezeigt, dass es doch geht, sogar friedlich. Wir haben keine Parteibonzen aufgehängt. Wir hätten Molotowcocktails bauen können. Wir hätten Terroristen werden können. Aber wir wollten Freiheit und Demokratie. Keine Gewalt und keinen Krieg. Wir hatten eine Ethik. Eben die Solidarität. Jeder hat jedem geholfen, keiner hat einem anderen geschadet. So haben wir die Freiheit erkämpft.

Im Westen fragte man sich 1980 verwundert: Wieso hängen die Polen die „Schwarze Madonna“ von Tschenstochau ans Werfttor?

Das haben viele nicht verstanden. Meine Freunde in Frankreich haben den Kopf geschüttelt über die knienden Arbeiter in ihren Drillichen. Doch die Massengebete waren wichtig, auch Papst Johannes Paul II. gab uns Kraft. Ich gehöre zu den wenigen nicht gläubigen Polen, aber der Papst und die Madonna gaben uns das Gefühl, auf der Seite der Guten zu stehen.

Solidarność wird in den polnischen Medien als Männerbewegung gezeigt, obwohl auch viele Frauen aktiv waren …

Ja, gut die Hälfte der Solidarność-Mitglieder waren Frauen. Ohne sie hätte es kaum Untergrundzeitungen und konspirative Radiosender in der Kriegszeit gegeben. Sie wurden genauso schikaniert wie die Männer. Aber in den Büchern über die Solidarność kommen die Frauen nicht vor.

Warum?

Das hat mit konservativer Weltsicht zu tun: Männer machen Politik, Frauen bekommen Kinder. Ich wollte auch am runden Tisch 1989 teilnehmen, aber Jacek Kuroń schlug statt meiner einen Mann vor. Am Ende saßen am runden Tisch fast nur Männer. Eine einzige Solidarność-Frau war dabei. Gekämpft haben wir gemeinsam, aber als es darum ging, Verdienste anzuerkennen und Orden zu verleihen, da meldeten sich nur Männer. Aber ich will nicht klagen. Denn auch wir Frauen leben heute in einer Demokratie.

INTERVIEW: GABRIELE LESSER