Böse Bazillen im Bach

Greenpeace findet multiresistente Keime in norddeutschen Gewässern. Zwei Fünftel der Wasserproben verseucht. Deutschland hinkt europäischer Richtlinie hinterher

Sieht nicht schlecht aus, kann aber verseucht sein: niedersächsisches Gewässer Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von Sven-Michael Veit

Antibiotika-resistente Keime verbreiten sich weiter unkontrolliert in deutschen Gewässern. Das ist das alarmierende Ergebnis von Greenpeace-Messungen in norddeutschen Seen, Flüssen und Bächen. In 38 Prozent der untersuchten Wasserproben wurden multiresistente Erreger gefunden. „Wenn sich diese Keime ausbreiten, wächst die Gefahr, dass immer mehr Antibiotika als wichtigste Waffe gegen Infektionskrankheiten ihre Wirksamkeit verlieren“, sagt Dirk Zimmermann, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace. Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung ließe sich dadurch reduzieren, „dass mehr Tiere artgerecht gehalten werden“, sagt Zimmermann: „Jeder antibiotikaresistente Erreger in der Umwelt ist einer zu viel.“

Zudem belegen die Messungen auch eine hohe Nährstoffbelastung der Gewässer. In 60 Prozent der Wasserproben lagen die Werte über dem gesetzlich vorgegebenen Jahresmittelwert für gute Wasserqualität. 31 von 237 Proben (13 Prozent) Brunnenwasser waren zudem über den Grenzwert für Trinkwasser hinaus mit Nitrat belastet. „Die Überdüngung gefährdet Gesundheit und Umwelt“, sagt Dirk Zimmermann.

Mit diesen Messungen an 25 Stellen in Niedersachsen, 22 in Schleswig-Holstein, zwei in Bremen und einer in Hamburg bestätigt Greenpeace mehrere frühere Untersuchungen der Wasserqualität in Norddeutschland. Ergänzend stellt Greenpeace am heutigen Donnerstag einen weiteren Report mit Stichproben aus Flüssen in zehn EU-Ländern vor. Darin fanden sich 20 verschiedene Tierarzneien, darunter zwölf Antibiotika, und mehr als 100 Pestizide.

Vor zwei Jahren bereits hatte die Bundesregierung auf eine Anfrage der grünen Bundestagsfraktion eingeräumt, dass 30 von 45 Gewässerproben vor der deutschen Ostseeküste einen unbefriedigenden oder schlechten Zustand aufwiesen. Zwölf waren vor Schleswig-Holstein genommen worden, 18 vor Mecklenburg-Vorpommern. Im Nordosten weisen demnach 18 Flüsse einen schlechten oder unbefriedigenden ökologischen Zustand auf, in Schleswig-Holstein zumindest die beiden größten Ostsee-Zuflüsse Trave – samt ihrem Nebenfluss Schwartau – und Schwentine.

Nicht besser sieht es in Niedersachsen aus. Laut Nährstoffbericht des Landes wurden 2014 und 2015 aus Dünger jeweils rund 80.000 Tonnen Stickstoff zu viel in die Böden eingebracht, dazu mindestens 30.000 Tonnen Phosphor. Das Grundwasser ist deshalb stark belastet, auch fast alle Flüsse und Seen sind in einem mäßigen (27 Prozent), unbefriedigenden (44 Prozent) oder schlechten (24 Prozent) Zustand. Besonders stark verunreinigt sind die großen Flüsse Elbe, Weser und Ems sowie ihre Mündungsgebiete im Wattenmeer der Nordsee: Seit 2008 ist nirgendwo der ökologische Zustand besser geworden.

Beim Nitrat wie auch beim Phosphor wurden die Grenzwerte teilweise deutlich überschritten. Zudem wiesen auch die meisten Grundwasserkörper – also räumlich eindeutig abgrenzbare Vorkommen – so hohe Nitratwerte auf, „dass dadurch der gute chemische Zustand verfehlt wird“, gab die Bundesregierung zu. Es gebe aber „keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Trinkwassergewinnung“.

Deutschland zögert seit Jahrzehnten mit strengeren Maßnahmen gegen Gewässerverunreinigung durch die Landwirtschaft. Das birgt Probleme, vor allem durch das Ausbringen von Dünger auf Felder und Äcker gelangen organische Stoffe in Böden und Grundwasser.

Besonders hoch sind die Konzentrationen an Nitrat und Phosphor. Hinzu kommen Einträge aus der Medikation von Tieren, vor allem Antibiotika. Etwa 50 Prozent der amtlichen Messstellen weisen erhöhte Nitrat-Konzentrationen nach, an rund 28 Prozent werden die Grenzwerte überschritten.

Zu viel Nitrat in Flüssen, Seen und Meeren kann dazu beitragen, dass Pflanzen- und Tierarten aussterben. Denn das Nitrat wandelt sich im Körper in gesundheitsgefährdendes Nitrit um. Nitrite sind giftig und können Krebs erregen.

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union müssen einen guten ökologischen Zustand aller Gewässer nach Möglichkeit bis 2015, spätestens aber 2027, erreichen. Das fordert die europäische Wasserrahmenrichtlinie. Grundwasser und Oberflächengewässer sollen dann frei von Schadstoffen und zu vielen Nährstoffen sein.

Vor zwei Jahren hat die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen Deutschland eingereicht, weil hier die EG-Nitratrichtlinie nicht umgesetzt werde und zu hohe Nährstoff­einträge in die Gewässer gelangten: Fortgesetzte Überdüngung und Verunreinigung von Grundwasser und Gewässern lautet der Vorwurf. Gebessert hat sich seitdem nichts. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts fällt pro Tag Gülle von fast 27 Millionen Schweinen und gut zwölf Millionen Kühen an. Das seien 15.000 Tanklaster.

Damit drohen Deutschland Strafzahlungen an die EU, wenn es „nicht endlich sein Wasser konsequent schützt“, sagt Zimmermann. Erforderlich sei, dass die Düngeverordnung umgehend verschärft werde und die Tierbestände reduziert werden. Für den Einsatz von Antibiotika müsse „ein Monitoring mit einheitlicher Methodik“ eingeführt sowie Grenzwerte für die Belastung festgelegt werden.