Gelb und Violett in den Straßen von Paris

In Frankreich kommt es bei einer Demo der „Gelbwesten“ zu Krawallen. Gleichzeitig demonstrieren #MeToo-Unterstützer gegen sexuelle Gewalt

Fordern jetzt auch Macrons Rücktritt: „Gelbwesten“ am Samstag auf den Champs-­Élysées Foto: Benoit Tessier/reuters

Aus Paris Rudolf Balmer

Trotz der glitzernden Weihnachtsdekoration bietet die prächtige Geschäftsstraße von Paris am Sonntag ein trauriges Bild. Überall auf der Avenue des Champs-Élysées sind die Spuren der Krawalle zu sehen: verbrannte Straßenbarrikaden, Brandspuren auf einigen Fassaden und Löcher in der Straße, aus der Pflastersteine herausgerissen wurden. Teilweise liegt noch der Geruch von Tränengas in der Luft.

Während einer unbewilligten Kundgebung der sogenannten „Gelbwesten“ gegen hohe Treibstoffpreise war es am Samstag zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. 130 Personen wurden festgenommen. In ganz Frankreich beteiligten sich laut Innenministerium mehr als 106.000 Personen an den Protesten. Vergangenen Samstag hatten fast 300.000 Menschen an den ersten Demonstrationen in Frankreich teilgenommen.

Viele der „Gilets jaunes“, die zur Verteidigung ihrer meist sehr bescheidenen Kaufkraft aus der Provinz in die französische Hauptstadt gekommen waren, zeigten sich am Sonntag konsterniert über die gewaltsamen Ausschreitungen. Geschäftsleute klagten über eine Katastrophe für den Tourismus und die beginnenden Weihnachtsverkäufe.

Nach den Krawallen machen viele rechts- und linksradikale Provokateure verantwortlich. Sie werfen der Staatsführung vor, die Gewalt und die mutwillige Verwüstung der Champs-Élysées entweder aus Unfähigkeit oder vorsätzlich in Kauf genommen zu haben, um die Bewegung in Verruf zu bringen.

Die Kritik der „Gelbwesten“ richtet sich auch direkt gegen Präsident Emmanuel Macron, dessen „Kopf“ am Samstag sowohl an den Straßenblockaden als auch auf der Demonstration gefordert wurde. Das Ausmaß der Zusammenstöße, die den ganzen Samstag über von den Nachrichtensendern des Landes zum Schrecken der ZuschauerInnen live übertragen wurden, hat Macron gezwungen, das Schweigen zu brechen und Stellung zu beziehen. Auch er gab sich am Samstag empört. Er dankte zuerst den Sicherheitskräften, die die Demonstration stoppten. Sie wurden deswegen mit Pflastersteinen beworfen und mussten anschließend die improvisierten Barrikaden auf den Champs-Élysées räumen. Diese Aggression gegenüber den Polizisten nannte der Präsident auf Twitter eine „Schande“.

„Der Präsident muss Stellung beziehen, damit die Situation nicht außer Kontrolle gerät“

Oliver Faure, Chef der Sozialisten

Doch Macron weiß, dass Entrüstung nicht reichen wird. Er kündigte an, am Dienstag einen Dialog in Gang zu setzen und möglicherweise auch zusätzliche Finanzmittel bereitzustellen, um die Auswirkungen seiner Energiepolitik abzufedern. Doch die Aussicht auf neue Zuschüsse oder Steuererleichterungen klingt für viele Franzosen und Französinnen nach einem leeren Versprechen. An Dutzenden Orten im Land gab es am Sonntag weiter Sperren von „Gelbwesten“.

In den sozialen Netzwerken geht die Mobilisierung ebenfalls unvermindert weiter. Für kommenden Samstag wird auf Face­book unter dem Titel „Dritter Akt: Macron tritt zurück“ bereits für die nächste Kundgebung in Paris aufgerufen – wieder ohne Genehmigung und wieder auf den Champs-Élysées. 50.000 NutzerInnen haben ihre Teilnahme zugesagt.

Die Staatsführung hat allen Grund, die Drohung ernst zu nehmen. In den sozialen Netzwerken wird betont, dass sich die „Gelbwesten“ beim nächsten Mal nicht von gewalttätigen Krawallmachern ihre Demo verunstalten lassen wollen. Bilder von brennenden Barrikaden auf der Prunk-Avenue sollen nicht zum Markenzeichen der „Gilets jaunes“ werden.

Die Regierung hofft, dass die Angst vor neuen Krawallen und die „Unterwanderung“ durch Extremisten die „Gelbwesten“ entmutigt und die Bewegung in der öffentlichen Meinung diskreditiert. Sie spiele dabei mit dem Feuer, warnt die Opposition. „Lasst euch nicht einschüchtern“, rät Jean-Luc Mélenchon von der linken „France insoumise“. Er findet es besonders skandalös, dass Innenminister Christophe Castaner behauptet hat, die Kundgebung sei von der radikalen Rechten manipuliert.

Wütend ist auch die rechtsextreme Marine Le Pen. Ihr hatte Castaner vorgeworfen, sie habe indirekt zu einer nicht bewilligten Demonstration aufgerufen, weil sie auf Twitter das Versammlungsverbot auf der Place de la Concorde und den Champs-Élysées hinterfragte.

Brachten 50.000 Menschen auf die Straßen: Feministinnen am Samstag in Paris Foto: Michel Euler/ap

Der Parteichef der Sozialisten, Oliver Faure, erteilte der Regierung einen Rat: „Wenn eine Bewegung von drei Vierteln der Franzosen gutgeheißen wird, dann versucht man nicht, sie auf eine Handvoll von Randalierern zu reduzieren. Der Präsident muss zur Kaufkraft Stellung beziehen, damit eine bereits explosive Situation nicht völlig außer Kontrolle gerät.“

Die dominierende politische Farbe in Paris war am Samstag allerdings nicht das Gelb der „Gilets jaunes“, sondern das Violett der Frauen, die ein Jahr nach dem Beginn der #MeToo-Kampagne gegen sexuelle Gewalt und Belästigung demonstrierten. „Das war wahrscheinlich die größte feministische Kundgebung der Geschichte Frankreichs“, freute sich Caroline de Haas, eine der InitiatorInnen der Demonstrationen, an denen in zahlreichen französischen Städten mehr als 50.000 Frauen (und einige Männer) teilnahmen. Allein in Paris waren es rund 30.000, die in Violett und mit Forderungen gegen gewalttätige Männer und aggressive Sexisten von der Oper zur Place de la République marschierten.

Die DemonstrantInnen wollten zunächst früher errungenen Rechte wie den legalen und kostenlosen Schwangerschaftsabbruch gegen Angriffe von Ultrakonservativen und der Kirchen verteidigen. Zu den Anliegen gehörte aber auch die Ausweitung des Rechts auf medizinisch unterstützte Fortpflanzung für alleinstehende Frauen und lesbische Paare. Das hatte Macron zwar versprochen, jetzt zögert seine Regierung aber wegen des Drucks von rechts.

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