Schon wieder gibt es eine wacklige Brexit-Einigung

Nach dem Entwurf des Austrittsvertrages einigen sich Großbritannien und EU-Kommission auf eine „politische Erklärung“ . Aber immer mehr EU-Mitglieder erheben neue Einwände

Ein Herz und eine Seele, aber nicht im gleichen Körper: Theresa May und Jean-Claude Juncker, in Brüssel am 21. November Foto: Yves Herman/reuters

Aus Brüssel Eric Bonse

Kurz vor dem geplanten EU-Sondergipfel zum Brexit am Sonntag haben sich die Unterhändler aus London und Brüssel auf Prinzipien der künftigen Zusammenarbeit geeinigt. Der am Donnerstag vorgelegte Entwurf sieht eine „ehrgeizige, breite, tiefe und flexible Partnerschaft“ Großbritanniens mit der EU nach dem Brexit vor. Allerdings bleibt er hinter den ursprünglichen Zielen von Premierministerin Theresa May zurück. Auch auf EU-Seite gibt es noch einige Hürden.

Am Sonntag soll der Austrittsvertrag für Großbritannien endgültig von den Staats- und Regierungschefs besiegelt werden. Der 585 Seiten umfassende Vertragstext, der seit 14. November vorliegt, ist um eine 26 Seiten lange politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen nach dem EU-Austritt ergänzt worden. Damit wollen beide Seiten den Weg für Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen ebnen.

May war dafür eigens nach Brüssel gereist. Nach ihrer Rückkehr nach London erklärte sie am Donnerstag, nun sei der „richtige Deal“ in greifbarer Nähe gerückt. Großbritannien könne künftig wieder über seine Grenzen, Gesetze und sein Geld bestimmen. Auch EU-Ratspräsident Donald Tusk zeigte sich optimistisch. Man habe nun eine „politische Erklärung“ für den Gipfel am Sonntag.

Allerdings muss diese Erklärung noch einige heikle Hürden nehmen. Nach den EU-Botschaftern, die sich am Donnerstag trafen, müssen auch noch die „Sherpas“ – also die Wasserträger von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Amtskollegen – dem Text zustimmen. Am Samstag will sich May dann nochmals mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel treffen.

So viele Krisentreffen gab es selten in Brüssel. Selbst auf dem Höhepunkt des Schuldenstreits mit Griechenland 2015 ging es nicht so hektisch zu. Ungewöhnlich ist auch, dass die Gespräche nun von Juncker geführt werden – und nicht von EU-Verhandlungsführer Michel Barnier, der das Austrittsabkommen mühsam ausgehandelt hatte.

Den größten politischen Einsatz wagt dabei jemand, mit dem bisher niemand gerechnet hatte: der spanische Regierungschef Pedro Sánchez. Er droht, gegen das Abkommen sein Veto einzulegen, sollte der Text nicht deutlich machen, dass das britische Überseegebiet Gibraltar, 1704 von Spanien an Großbritannien abgetreten, kein integraler Bestandteil des Vereinten Königreichs sei. „Sollte das Problem nicht gelöst werden, wird Spanien sich gezwungen sehen, gegen das Brexit-Abkommen zu stimmen, weil dies das Wesen unseres Landes und unserer Nation betrifft“, so Sánchez.

Doch das lehnen die anderen EU-Länder entschieden ab. Sie versuchen, den Gibraltar-Streit zu einem rein bilateralen Problem herunterzuspielen. Tatsächlich ist Sánchez nun auch mit May im Gespräch. Ob das eine Last-Minute-Einigung im jahrhundertealten Streit um den „Affenfelsen“ bringt, ist offen. Deren Bewohner stimmten bei der Brexit-Volksabstimmung 2016 zu 96 Prozent für den Verbleib bei der EU – allerdings sprachen sich bei einer andren Volksabstimmung 2002 98,5 Prozent dafür aus, Teil Großbritanniens zu bleiben.Wenn es nicht gelingt, den Gibraltar-Konflikt zu entschärfen, könnte er den EU-Gipfel überschatten. Sollte auch nur ein einziges EU-Mitglied den Vertragsentwurf ablehnen, ist er nicht offiziell angenommen.

Wenn der Konflikt um Gibraltar nicht entschärft wird, könnte er den EU-Gipfel überschatten

Auch der Streit um die künftigen Beziehungen mit London ist noch nicht ganz ausgestanden. May hatte versucht, möglichst viele Details in die politische Erklärung hineinzuschreiben. Doch der Entwurf bleibt ziemlich vage.

Streit könnte es auch noch um die Fischerei-Politik geben. Vor allem Frankreich fordert Festlegungen, die auch nach dem Brexit den eigenen Fangflotten Zugang zu britischen Gewässern erlauben. Britische und französische Fischer hatten sich im Sommer im Ärmelkanal die Fanggründe streitig gemacht. Im Text steht jetzt, dass eine Einigung in dieser Frage bis Mitte 2020 angestrebt wird.

All dies setzt jedoch voraus, dass May den Scheidungsvertrag samt Anhängen durch das Unterhaus in London bringt. Bisher hat sie dafür keine Mehrheit. Was passiert, wenn der Vertrag im Parlament scheitert, ist völlig offen. Bisher war die EU nicht bereit, bereits geschlossene Verträge neu zu verhandeln.

Mitarbeit Reiner Wandler, Madrid