Merkel zieht den Bundestag gerade

In der Generaldebatte zum Haushalt hält die Kanzlerin eine ungewohnt engagierte Rede. Beiläufig zeigt sie der AfD den Unterschied zwischen Verantwortung und Egozentrik

Zugewandt: Spahn und Merkel Foto: Michael Kappeler/dpa

Aus Berlin Anja Maier

Wer meint, in der traditionellen Generaldebatte zum Kanzlerin­etat ginge es um haushalterische Fragen, irrt. Zwar wird am Freitag das Parlament über den Haushalt abstimmen. Aber der Mittwoch ist quasi eine Art Schaulauf der politischen Differenzierungen. Die Kanzlerin spricht, klar. Für die Sozialdemokraten hat sich Fraktions- und Parteichefin Andrea Nahles angekündigt. Und die Rechten im Parlament schicken: Alice Weidel.

Die AfD-Fraktionsvorsitzende beginnt mit ihren üblichen Schmähungen und Bezichtigungen. Ausgabenwahn, Ausverkauf, derlei. Doch das Plenum ist unruhig. Aktuell steht Weidel wegen einer verbotenen Parteispende aus dem Ausland in der Kritik. „Letzte Rede!“, schallt es ihr mehrfach entgegen. Weidel steuert um: „Sie wollen über Parteispenden reden. Also gut, also reden wir auch über schwarze Kassen und das bis heute nicht aufgeklärte Bimbes-System von Helmut Kohl.“ Statt also über die Steuern der BürgerInnen zu sprechen, verfällt die AfD-Frau in Selbstverteidigung einerseits und Bezichtigungen der anderen Parteien andererseits. Selten hat man Weidel so machtlos und wütend erlebt.

Nach diesem sachpolitischen Komplettausfall tritt nun also Angela Merkel ans Rednerpult. „Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das redet, was er für das Land für wichtig hält.“ Gelächter und Applaus.

Es folgt nun eine Rede, die in dieser Dringlichkeit selten zu hören war von ihr. Eindringlich appelliert die Kanzlerin an die Abgeordneten, den UN-Migrationspakt nicht zu gefährden. „Entweder man gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken. Das ist Nationalismus in reinster Form. Patriotismus ist, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbezieht und Win-win-Situationen akzeptiert.“

Interessieren dürfte das vor allem die Union. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der sich beim CDU-Parteitag um Merkels Posten als Vorsitzender bewirbt, hatte kürzlich angeregt, den UN-Migrationspakt noch einmal mit den Delegierten zu diskutieren. Notfalls müsse man die Zustimmung zum Pakt halt verschieben.

„Jeder redet über das, was er für das Land für wichtig hält“, lautet Merkels epischer Satz

Derlei Planspielen hält Merkel im Plenum entgegen, der Pakt sei der richtige Versuch, globale Probleme auch global zu lösen. Die Flüchtlingskrise habe gezeigt, dass es kein Land allein schaffen könne. Zudem berühre der Pakt nicht die deutsche Souveränität und die nationale Gesetzgebung. Es sei aber im nationalen Interesse, dass sich die weltweiten Bedingungen für Flüchtlinge und Arbeitsmigranten verbesserten.

Auf den Bänken der AfD flippt Beatrix von Storch regelrecht aus, als Merkel erklärt: „Deutsches Interesse heißt, immer auch die anderen mitzudenken.“ Die Pöbeljungs aus der AfD-Fraktion veranstalten einen Lärm, der kaum anders als entlarvend zu nennen ist. Hier spüren Demokratiefeinde ihre Unterlegenheit.

Die als eine Art Topact angekündigte Rede von Andrea Nahles fiel eher mau aus. Die SPD-Fraktionsvorsitzende lobt die Arbeit der Bundesregierung und spricht sich für bessere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene aus. „Dieser Haushalt investiert in die richtigen Fragen, nämlich in ­Chancengleichheit, in Bildung“, sagt Nahles nun doch etwas zum ­Sitzungsthema. Er sorge aber auch für Sicherheit – für soziale Sicherheit etwa bei Renten und in der Pflege, aber auch für einen handlungsfähigen Staat und neue Stellen bei der Bundespolizei. Nicht einmal aus ihrer eigenen Fraktion kommt nennenswerter Applaus. Gegenüber Nahles wirkte Merkel da geradezu leidenschaftlich.