Der Wille zur Hierarchie

Viel Neues gibt es da nicht zu lesen: Drei junge Wissenschaftler*innen haben einen Lesekreis gegründet, in dem sie dann rechte Texte untersuchten

Von Inga Barthels

Mit Rechten reden oder nicht? Darüber wird kontrovers diskutiert. Nachdem Margarete Stokowski eine Lesung in einem Buchladen absagte, weil dort auch Bücher der Neuen Rechten verkauft werden, steht die Frage im Raum: Sollte man womöglich Rechte lesen? Die Philosophin Jule Govrin und die Kulturwissenschaftler Andreas Gehrlach und Stephan Zandt finden: ja. Die jungen Wis­sen­schaft­ler*innen gründeten einen Lesekreis, um Werke von Marc Jongen, Götz Kubi­tschek und Co kritisch zu beleuchten.

In einem Werkstattgespräch an der Staatsbibliothek Berlin stellten sie die vorläufigen Ergebnisse dar. Ziel ihrer Arbeit sei die Entzauberung rechter Texte, ohne sie zu normalisieren, sagt Andreas Gehrlach. Als erstes Merkmal nennt er die „große Empfindung“. An Pathos und Heroismus seien die Texte nicht zu überbieten, wenn etwa Mario Müller in „Kontrakultur“ die Identitäre Bewegung mit den Spartanern aus dem Hollywood-Epos „300“ vergleicht. Als zweiten Punkt nennt Gehrlach die „flache Gegenwart“. Autoren wie Götz Kubitschek oder Armin Regner schreiben von einer „Zeit zwischen den Zeiten“, in der sich die Gesellschaft derzeit befinde. Eine Art Übergangszeit, da eine alte Ordnung zusammengebrochen und eine neue noch nicht wiederhergestellt sei. Drittes Merkmal ist der „Wille zur Hie­rar­chie“: Nichts sei Autoren der Neuen Rechten verhasster als der Gedanke der Gleichheit. Der französische Philosoph Alain de Benoist spricht im Spiegel-Interview von einer „naturgegeben Ungleichheit“ und einer „elitären Ordnung“, die endlich wiederhergestellt werden müsse. Radikaler formulieren Autoren wie Renaud Camus oder Thilo Sarrazin diese Angst vor Gleichheit und Vermischung, wenn sie vor einem „Austausch der Völker“ durch Muslime warnen.

Diesen Gedanken greift auch Michel Houellebecq in seinem Roman „Unterwerfung“ auf, in dem er die Übernahme Frankreichs durch Muslime beschreibt. Jule Govrin legt dar, wie der Autor schon in seinen frühen Werken ursprüngliche linke Kritik an Verelendung und Vereinsamung im Neoliberalismus nutzt, um gegen die sexuelle Revolution der 68er anzuschreiben. Die Abkehr vom patriarchalen Ernährermodell sei letztendlich schuld daran, dass es den Menschen schlecht gehe. Houellebecqs „nihilistische Jammergestalt“, die Idee vom weißen, heterosexuellen Mann als eigentlichem Opfer von Feminismus und „Gender-Wahn“, sieht Govrin als neue Figur rechter Männlichkeit.

Warum aber nehmen die Texte der Neuen Rechten derart viel Platz in den Medien ein, wo sie nur von wenigen gelesen werden?, fragt Stephan Zandt. Er sieht gerade bei medienwirksam selbst inszenierten Gruppen wie den Identitären eine Konzentration auf den vorpolitischen Raum. Als Inhaber der kulturellen Macht würden die Medien gesehen, deren Bilder und Narrative es zu zerstören und durch neue zu ersetzen gelte. Bevor also politische Veränderungen stattfinden, müsse erst einmal die politische Deutungshoheit erobert werden und die „Festung der Political Correctness fallen“, wie Mario Müller in „Kontrakultur“ schreibt. Das erreichen die Identitären durch medienwirksame Aktionen und sogenannte Informationskriege, also die gesteuerte Verbreitung und Manipulation von Nachrichten.

Am Ende der Diskussion bleibt die Frage, wie Universitäten, Buchhandlungen und Bi­blio­theken künftig mit rechten Texten umgehen sollten. Die Staatsbibliothek plant, weitere Begleitveranstaltungen anzubieten, um die Bücher aus ihren Beständen kritisch einzuordnen. Govrin, Gehrlach und Zandt haben die Bücher für ihren Lesekreis ausschließlich antiquarisch erworben, um rechte Verlage nicht zu unterstützen. Wichtig sei aber vor allem, die Texte nicht unnötig zu mystifizieren, sagt Stephan Zandt. Denn viel Neues gebe es dort letztendlich nicht zu lesen