Große Oper über eine Gerechte unter den Völkern

Am Moskauer Stanislawski- und Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater findet morgen die Uraufführung der Oper „Frau Schindler“ des US-Komponisten Thomas Morse statt

Probenfoto von „Frau Schindler“ von der Moskauer Aufführung Foto: Sergei Rodionov

Von Gaby Sohl

Am Stanislawski- und Nemirowitsch-Dantschenko-Musiktheater in Moskau findet morgen die russische Uraufführung einer ungewöhnlichen Oper statt: „Frau Schindler“ ist eine – von dem US-Amerikaner Thomas Morse komponierte – Hommage an die historische Figur der Emilie Schindler. Im Zweiten Weltkrieg rettete das deutsche Ehepaar Oskar und Emilie Schindler mehr als 1.200 jüdische Fabrikarbeiter vor den Vernichtungslagern der Nazis; Steven Spielberg setzte Oskar ein Denkmal mit seinem Spielfilm „Schindlers Liste“. Die deutsche Fassung der Oper wurde 2017 in München im Staatstheater am Gärtnerplatz aufgeführt – die russische Premiere am 14. November präsentiert nun ein völlig neues Konzept und ein eigens übersetztes russisches Libretto, das der Regisseur Wladimir Alenikow umsetzte. Oskar Schindler war 1938 in die NSDAP eingetreten und arbeitete für die Spionageabwehr in Polen. Er kaufte eine stillgelegte Fabrik in Krakau, nannte sie Deutsche Emaillewaren und stellte jüdische ArbeiterInnen ein – weil sie die billigsten waren. Als er schließlich die Genozid- Pläne der Nazis durchschaute, bestach er die SS mit Schwarzmarktgütern und Diamanten. Es gelang ihm, „seine“ Juden als „unersetzliche Arbeiter“ für eine neue Munitionsfabrik in Brünnlitz auf die später berühmt gewordene „Schindler Liste“ zu setzen.

Betrogene Ehefrau

Seine Gattin Emilie Schindler kümmerte sich in einem geheimen Sanatorium in der Munitionsfabrik um krank gewordene Arbeiter; sie organisierte Kleidung, Lebensmittel und Medikamente auf dem Schwarzmarkt und hielt die Fabrik am Laufen, wenn Oskar neues Geld auftrieb, der SS Sand in die Augen streute und nebenbei alle Frauen verführte, die seinen Weg kreuzten – „auch die vulgären, hässlichen!“, wie sie empört feststellen musste. Oskar, der „Schindler-Gauner“, wie die Einheimischen den Fabrikanten nannten, war ein freundlicher Frauenheld, ein harter Trinker und ein gerissener Lebemann vor dem SS-Herrn. Emilie Schindler schreibt in ihrer Autobiografie „In Schindlers Schatten“: „Spielbergs Film beschreibt Oskar als Helden unseres Jahrhunderts. Allerdings sind weder er noch ich je Helden gewesen. Wir waren nur das, was wir sein konnten. Im Krieg sind wir alle ruhelose Seelen ohne Ziel. Ich war einer jener flüchtigen Schatten, die genauso zur Erinnerung an die Zeit der Barbarei gehören wie all die Erbärmlichkeiten, Aufregungen, Widersprüche und Verdächtigungen.“

Im taz-Gespräch antwortet der US-Komponist Thomas Morse auf die Frage, ob er keine Angst gehabt habe, in die klassische Falle der Sentimentalität zu tappen, im schlimmsten Falle sogar eine Ästhetisierung des Holocaust in Szene zu setzen:

„Diese Oper ist keine Oper über den Holocaust. Sie schildert, was die kleinen Leute gedacht haben in dieser Zeit – die Bedingungen, unter denen Faschismus sich entwickelt. Ich habe nicht versucht, den brutalen Horror des Holocaust darzustellen. Bekannte Monster, wie den Lagerkommandanten Amon Göth, habe ich nicht porträtiert – solche historischen Nazi-Gestalten in einer Oper singen zu lassen, das wäre in jeder Hinsicht absolut unpassend.“

Emilie Schindler, das Bauernkind aus dem damaligen Sudetendeutschland, geboren 1907 als Emilie Pelzl in Alt Moletein, in der heutigen Tschechoslowakei – sie wurde 1994 in Yad Va­shem, gemeinsam mit Oskar, als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt. Im Mai 1945 aber mussten sich beide vor den Alliierten und den Russen verstecken wegen Oskars Mitgliedschaft in der NSDAP und seiner Arbeit für die deutsche Spionageabwehr. Schließlich flohen sie 1949 nach Argentinien und ließen sich dort als Farmer nieder, überlebten nur dank der finanziellen Unterstützung durch die jüdische Organisation „Joint“. Oskar, bankrott und gelangweilt, verließ 1957 seine Frau, um eine Entschädigung von 100.000 Mark in Deutschland einzusammeln – von der Emilie nie einen Pfennig sah. Sie blieb zurück, verarmt und vergessen auf ihrer Quinta im argentinischen San Vincente – in Gesellschaft von 20 Gänsen, 30 Hühnern und unzähligen Katzen. Später wurde ihr geraten, Spielberg zu verklagen, da er sie nie an den Einnahmen seines Kassenknüllers beteiligt hatte. Schließlich zahlte Spielberg ihr eine kleine Summe – „freiwillig“.

„Es gab viele Gerüchte damals“, erklärt Thomas Morse. „Aber man sollte Steven Spielberg nicht mit Klage drohen. Da war Emilie schlecht beraten. Als ‚Schindlers Liste‘ 1993 in die Kinos kam, war ich persönlich unglaublich beeindruckt. Damals arbeitete ich noch als Filmkomponist in Hollywood. ‚Frau Schindler‘ ist meine erste Oper. Diese Frau hat mich fasziniert. Sie hat die Fäden gezogen hinter den Kulissen des Fabrikalltags in der Nazi-Zeit und dann wurde sie vergessen. Die Oper stützt sich auf Dialoge, eine durchgehende Konversationsatmosphäre.“ Morse’Komposition lässt sich nicht der E-Musik zuordnen, eher klingt „Frau Schindler“ nach Neoromantik mit minimalistischen ­Einflüssen.

Die Musik von „Frau Schindler“ klingt nach Neoromantik mit minimalistischen Einflüssen

Insgesamt gibt es erstaunlich wenige große Opern über historische Frauengestalten. Und meist sind sie zum Leiden und lautstarken Sterben verdammt. Es gibt natürlich auch Jeanne d’Arc in Verdis „Giovanna d’Arco“. In der Moderne verewigte Robert Rodriguez die Malerin Frida Kahlo in der Oper „Frida“. Das Leben der Jackie Onassis inszenierte Michael Daugherty in „Jackie O.“Und nun erlebt die Opernwelt also auch eine singende „Frau Schindler“. Morse vermeidet bewusst eingängige Liedmelodien – es ist nicht möglich, sich einfach in diese Oper hineinfallen zu lassen. Die minimalistisch akzentuierte Musik zwingt immer wieder zur intensiven gedanklichen Auseinandersetzung mit der dokumentierten Geschichte. Morse ist glücklich über die Einladung nach Moskau. Der Film- und Theaterregisseur Wladimir Alenikow hat mit 18 SängerInnen und einem 40-köpfigen Chor eine komplette Neuproduktion der deutschen Uraufführung am Münchner Staatstheater geschaffen. Selbstkritisch gibt Morse zu: „In München waren wir alle noch ein bisschen zu naiv, manchmal auch ein bisschen kitschig. Wladimir hat das verändert.“

Ein frischer Blick

Und was sagt der Kitsch-Killer selbst, welche Bedeutung hat „Frau Schindler“ für Russland, heute? Wladimir Alenikow glaubt an die historische Bedeutung dieser Oper: „ ‚Frau Schindler‘ ist für Russland und für Moskau im Besonderen ein wichtiges kulturelles Ereignis, weil es an den Holocaust erinnert und einen frischen Blick auf ‚Schindlers Liste‘ wirft. Diese Mahnung ist heute umso dringender, da die alten antisemitischen Vorurteile wieder auftauchen und Stimmen lauter werden, die selbst die Realität des Holocaust bezweifeln.“ Alenikow erzählt, dass die Übersetzung des gesamten Librettos ins Russische eine echte Herausforderung war: „Die passenden Vokale und Akzente für den russischen Gesang zu setzen, war eine Übung in Geduld und Akribie. Manchmal hatte ich auch Angst, dass in einem so streng konditionierten Genre wie der Oper dieses so ernste Thema künstlich oder unecht aussehen würde. Aber meine Schauspieler haben mir gesagt, dass sie noch nie etwas Ähnliches an einem Opernhaus erlebt haben. Das freut mich sehr.“