Integration – Brauchen Problemschulen eine Deutsch-Quote?
Ja

BILDUNG Eine Berliner Schule mit hohem Migrantenanteil macht neue Regeln. Sie garantiert Eltern, dass in einer ersten Klasse die Hälfte der Kinder Deutsch als Muttersprache sprechen

Cem Özdemir, 43, ist Erzieher, Sozialpädagoge und Bundesvorsitzender der GrünenSchulen in sozialen Brennpunkten müssen für Mittelschichtsfamilien attraktiver werden. Ansonsten stimmen die Eltern mit den Füßen ab, wodurch sich die Segregation weiter verschärft. Um eine bessere soziale Mischung in Schulen und Stadtteilen zu erreichen, können Klassen für Kinder mit guten Deutschkenntnissen ein Weg sein – wobei in einem ausgewogenen Verhältnis auch Kinder mit schwächeren Deutschkenntnissen darin aufgenommen werden sollten. Gerade sie profitieren von diesem Umfeld mit am stärksten, ohne dass es den anderen Kindern schadet. Was solche Schulen aber vor allem brauchen, ist eine bessere Ausstattung, gut ausgebildete, motivierte und kreative Pädagogen und eine enge Kooperation mit Kindergärten. Aktive und bildungsbewusste Eltern, die diesen Wandel einfordern, sprechen dann auch für jene Familien, die sich nicht artikulieren können – nicht immer zur Freude von Politik und Verwaltung.

Dagmar Hänisch, 45, Sozialdemokratin, Bezirksstadträtin für Bildung und Kultur der Stadt BerlinGelungene soziale und ethnische Integration in „Problemschulen“: Es wird viel über den richtigen Weg gestritten. Aber die Realität in Berlin zeigt, um die „Mittelschicht“ zu erreichen, reichen motivierte Lehrer, wirksame Sprachförderung, nachweisbare Qualität und individuelle Förderung allein nicht. Dafür bedarf es zusätzlich außergewöhnlicher Wege. Nun also das: eine Modellklasse im Berliner Bezirk Mitte – im Ortsteil Wedding – mit einer Deutschquote als Zugangskriterium. Klar ist, diese Klasse eckt an. Sie will beim bildungsbewussten, auch deutschen Mittelstand Vertrauen in die Schule schaffen und drängt den Anspruch der sozialen und ethnischen Integration für alle erst einmal in die zweite Reihe. Dieses Modell ist auf die Eltern, die gewonnen werden sollen, zugeschnitten. Andere Schulen in Berlin-Mitte haben sich für einen anderen Weg entschieden, etwa das Montessori-, Hochbegabten- oder Theaterprofil. Allen diesen Schulen ist gemeinsam, dass sie überdurchschnittlich positiv bei den Schulinspektionen bewertet werden. Sie müssen also etwas richtig machen.

Andreas Hasenkopf, 25, ist aus Regensburg und hat seinen Beitrag auf taz.de gestellt

Ich halte die „Deutsch-Quote“ als Maßnahme, um taktischen Umzügen von Eltern entgegenzuwirken, für angemessen. Dem Problem, dass das Leistungsniveau angeblich sinkt, kann diese Maßnahme natürlich nicht entgegenwirken. Meiner Meinung nach wäre eine gute Mischung von deutschsprachigen und Kindern mit Migrationshintergrund in den Schulen und in den Klassen das Beste. Um Nichtmuttersprachlern die deutsche Sprache besser beizubringen, sollte man vielleicht die Klassen für den Deutschunterricht aufteilen, damit man auf spezielle Sprachprobleme besser eingehen kann.

Angelika Klein-Beber, 66, ist Vorsitzende im Förderverein Evangelische Schule KreuzbergDas Problem, das die Kreuzberger Schulen im Moment haben, kann man nur mit einer Quote und der gleichzeitigen Abschaffung der Gebietsverordnung lösen. Auch muss es in Kreuzberg mehr Schulen geben. So können kleinere Klassen geschaffen werden, um mit den Schülern erfolgreich zu arbeiten. Ich habe meine Kinder bewusst auf eine Schule geschickt, die eine durchmischte Schülerstruktur hatte. So bekommen die Kinder ein reales Bild vermittelt, wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Ich möchte nicht, dass meine Kinder in abgeschotteten, gehobenen Gesellschaftsklassen aufwachsen. Auch türkische oder asiatische Eltern wollen ihre Kinder nicht an Schulen schicken, an der nur zehn Prozent deutsche Kinder sind. Wir brauchen die Deutsch-Quote und mehr Schulen, um ein Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern.

Nein

Wolfgang Schuster, 60, ist Jurist und Oberbürgermeister der Landeshauptstadt StuttgartStuttgart ist eine Einwanderungsstadt. Knapp 40 Prozent der Einwohner haben Migrationshintergrund, 21 Prozent keine deutsche Staatsangehörigkeit. Aber die Leitlinie unserer Politik ist: Hier sind alle Stuttgarter und Stuttgarterinnen, ob mit oder ohne deutschen Pass. Damit jeder eine faire Chance erhält, brauchen wir keine Quoten und kein „Bussing“ von Kindern. Vielmehr müssen wir unsere Angebote individueller auf die Lebenssituationen der Einzelnen ausrichten. Ob jemand integrationsfähig ist oder nicht, liegt weniger an seiner Nationalität als an unterschiedlicher Teilhabe an Bildung, Arbeit und Wohlstand. Deutsch als gemeinsame Umgangssprache ist eine Schlüsselqualifikation. Die Schule kommt hier als Korrektiv oft zu spät. In Stuttgart besuchen 98 Prozent der Kinder im letzten Jahr vor der Schule eine Kita. Dort ist Sprachförderung Kernaufgabe, mehr als die Hälfte der Kinder haben Migrationshintergrund. Wir lehnen Stadtquartiere mit nur einer ethnischen Gruppe ab, haben mit der städtischen Wohnungspolitik Milieus bewusst gemischt. Wenn Türken, Kroaten, Griechen, Aussiedler und Deutsche in einem Haus leben und keine Gruppe dominiert, dann verständigen sich alle auf Deutsch! Die Kinder sowieso. Die Quote in der Schule setzt viel zu spät an und bleibt an der Oberfläche des Problems.

Petra Stanat, 45, unterrichtet an der Freien Universität Berlin Erziehungswissenschaft Wir wissen aus einer Reihe von Studien, dass es in sogenannten Problemschulen schwieriger ist, optimal zu fördern. Die Leistungen der Schüler sind an diesen Schulen oft niedriger. Dabei scheint aber nicht der Migrantenanteil entscheidend zu sein, sondern vielmehr der Anteil von Kindern aus sozial schwachen Familien und von Kindern mit geringem Vorwissen. Natürlich wäre es wünschenswert, in allen Schulen eine gesunde Mischung von Schülern unterschiedlicher Herkunft zu erreichen. Dies durch Quoten erzwingen zu wollen ist aber unrealistisch – das wird von vielen Eltern nicht akzeptiert. Stattdessen sollte versucht werden, die Angebote von Schulen in schwieriger Lage so zu gestalten, dass diese für privilegierte Familien wieder attraktiv werden. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, das zu erreichen, zum Beispiel durch Setzen von Schulschwerpunkten auf Kunst oder Naturwissenschaften. Einige Schulen machen das erfolgreich vor. Dabei müssen die Schulleitungen und Lehrkräfte massiv unterstützt werden – bei der Entwicklung tragfähiger Konzepte wie auch bei deren Umsetzung. Von der Vorstellung, dass allein durch eine Veränderung der Zusammensetzung der Schülerschaft Probleme gelöst werden können, sollten wir uns endlich verabschieden.

Sevim Dagdelen, 34, sitzt seit 2005 für die Linken im Bundestag und studiert RechtswissenschaftenEine „Schule für alle“ bedeutet für die Linke nicht, das dreigliedrige selektive Schulsystem abzuschaffen, um dafür neue Selektionsmechanismen einzurichten. Der Diskrepanz zwischen sprachlichen Fähigkeiten der Kinder sozial benachteiligter Familien und den Anforderungen der Schulen wird man mit einer Deutschquote aber nicht gerecht. Stattdessen muss das Bildungssystem umstrukturiert und die öffentlichen Bildungsausgaben auf mindestens 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden. Nur so kann man Rahmenbedingungen für die individuellen Bedürfnisse der Schüler und damit der einzelnen Schulen schaffen. Wer die sprachliche Entwicklung von Kindern mit Migrationshintergrund wirklich verbessern will, muss sich für einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung in Kitas mit hoher Qualität der Kinderbetreuung einsetzen. Man muss Gebühren für Kitas abschaffen, die Aus- und Weiterbildung von Kitapersonal fördern. Warum nicht das Recht auf Bildung mit sozialer Ausrichtung im Grundgesetz verankern, statt Deutsch im Grundgesetz und Deutschquote an Schulen? Dann bräuchte man nicht im Nachhinein Defizite kompensieren und wie hier Kinder selektieren und spalten. Für ein solidarisches Miteinander.