Urteil zum inhaftierten Kurdenpolitiker: Türkei soll Demirtaş freilassen

Die U-Haft des HDP-Politikers Selahattin Demirtaş in der Türkei ist rechtswidrig. Doch Erdoğan denkt gar nicht daran, das EGMR-Urteil umzusetzen.

Selahattin Demirtaş

Der erfolgreichste Politiker der Kurden in der Türkei: Selahattin Demirtaş Foto: dpa

ISTANBUL taz | In einem aufsehenerregenden Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Dienstag von der Türkei die Entlassung des kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş aus dem Gefängnis gefordert. Die seit über zwei Jahren andauernde Untersuchungshaft sei ein „unrechtmäßiger Eingriff in die Rechte des Oppositionspolitikers, gewählt zu werden und sein Mandat auszuüben“.

Die wiederkehrende stereotype richterliche Begründung für die Verlängerung der U-Haft diene dem Ziel, „den Pluralismus in der Türkei zu ersticken und die Freiheit der politischen Debatte zu begrenzen“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, beide Seiten können dagegen innerhalb von drei Monaten Berufung einlegen.

Der Kontext

Selahattin Demirtaş, 45, ist der prominenteste und erfolgreichste politische Führer der Kurden in der Türkei. Weil er es schaffte, die kurdische HDP auch bei türkischen Linken und Liberalen populär zu machen, gelang es der HDP, erstmals die 10-Prozent-Hürde für das Parlament zu überspringen. Die Partei erreichte im Juni 2015 13,5 Prozent, was die AKP von Präsident Erdoğan bis zu den Neuwahlen im November desselben Jahres die absolute Mehrheit im Parlament kostete.

Erdoğan setzte daraufhin die „Friedensgespräche“ mit der kurdischen Guerilla PKK aus und versuchte, Demirtaş und die HDP wieder in die terroristische Ecke zu drängen. Nach dem Putschversuch im Juli und dem daraufhin verhängten Ausnahmezustand wurden Demirtaş und andere HDP-Parlamentarier im November 2016 verhaftet. Wegen Unterstützung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung fordert die Staatsanwaltschaft 142 Jahre Haft.

Obwohl die HDP auch bei den letzten Parlamentswahlen im Juni 2018 wieder den Sprung ins Parlament schaffte, ist sie durch die Verhaftung ihrer führenden Köpfe stark geschwächt und politisch kaum noch handlungsfähig. Jetzt hat der europäische Menschenrechtsgerichtshof quasi bestätigt, dass es der türkischen Regierung auch genau darum geht.

Die Reaktionen

Während die HDP-Fraktion in Jubel ausbrach, machte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan deutlich, dass er gar nicht dran denkt, den Urteilsspruch umzusetzen. Das Urteil sei für die Türkei „nicht bindend“, erklärte er gegenüber der staatlichen Presseagentur Anadolu. „Wir werden darauf reagieren und einen Schlusspunkt hinter die Angelegenheit setzen“, sagte er weiter. Ob damit gemeint ist, gegen das Urteil Berufung einzulegen oder ob Erdoğan die Mitgliedschaft der Türkei im Europarat gleich ganz beenden will, blieb erst einmal offen.

Die Konsequenz

Eigentlich müsste die Europäische Union die Weigerung der Türkei, das Straßburger Urteil umzusetzen, angemessen sanktionieren. Ob die EU sich dazu aufrafft wird man bereits am Donnerstag sehen können, wenn EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Erweiterungskommissar Johannes Hahn zu einem lange geplanten Besuch in Ankara eintreffen.

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