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: Italiens Modelldorf Riace: Bürgermeister Lucano muss die Stadt verlassen

Der Bürgermeister von Riace, Domenico Lucano, ist nach dem Haftprüfungstermin vom Dienstag wieder auf freiem Fuß. Lucano, weltweit bekannt als Schöpfer des „Modells Riace“, das in der Flüchtlingspolitik als vorbildhaft gilt, war am 2. Oktober verhaftet und unter Hausarrest gestellt worden. Die Vorwürfe: Er soll eine Scheinehe zwischen einer Nigerianerin und einem Italiener vermittelt haben, um der Migrantin einen legalen Aufenthaltsstatus zu vermitteln. Und er soll ohne korrektes Ausschreibungsverfahren die örtliche Müllabfuhr an zwei Genossenschaften vergeben haben, die die gesetzlichen Vorschriften nicht erfüllten.

Über die wiedergewonnene Freiheit kann Lucano sich aber nur bedingt freuen. Denn das Gericht erlegte ihm auf, seinen Heimatort zu verlassen; er darf das Gebiet der Kommune Riace nicht betreten, obwohl er deren Bürgermeister ist und bleibt.

Schwerer noch wiegt, dass das vom Chef der rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Lega, Matteo Salvini, geleitete Innenministerium letzte Woche den völligen Stopp der Flüchtlingsaufnahme in Riace anordnete; die Migranten, die dort noch leben, sollen in Einrichtungen an anderen Orten gebracht werden.

Das Modell Riace wäre damit am Ende. Lucano hatte auf die Flüchtlinge gesetzt, um wieder Leben in den Ort im tiefen Süden Kalabriens zu bringen. 2.300 Einwohner hat Riace, die jüngeren zogen in den letzten Jahren und Jahrzehnten massenhaft fort. Lucano nutzte deshalb die leer stehenden Häuser als Flüchtlingsunterkünfte und schuf zugleich Arbeitsplätze. Zuletzt 200, in der Spitze bis zu 400 Flüchtlinge hielten sich in Riace auf. Pro Kopf pro Tag überwies das Innenministerium 35 Euro. Dank dieser Unterstützung konnten auch die Geschäfte vor Ort profitieren; außerdem entstanden Arbeitsplätze, zum einen in den kleinen Läden – für Töpferwaren, Glasmalereien, gewebte Tuche – in denen Einheimische Seite an Seite mit Flüchtlingen arbeiteten ebenso wie bei der mit Eseln durchgeführten Müllabfuhr, die Lucano jetzt angekreidet wird, zum anderen in der Flüchtlingsbetreuung, in der Sozialarbeiter, Sprachlehrer, Rechtsberater tätig sind.

Damit soll nach dem Willen des Innenministeriums jetzt Schluss sein. Scharfe Kritik gibt es dafür von Mario Morcone, Kabinettschef des Salvini-Vorgängers Marco Minniti, der bis Mai 2018 als Innenminister amtiert und die Inspektionen angeordnet hatte, die jetzt zu den Ermittlungen gegen Lucano geführt haben. Auch Morcone ist zwar der Auffassung, dass Lucano teils an Vorschriften und Gesetzen vorbei agiert hat, bezeichnet es aber als „schweren Irrtum“, ja als „Desaster“, wenn deshalb das gut funktionierende Modell Riace liquidiert würde. Michael Braun, Rom