berliner szenen
: Die Hunde der Kindheit im Kopf

Als er an mir vorbeigeht, sage ich: „Der schon wieder“, wir lachen beide und sehen uns dann später. Er überweist mich in die Psychosomatik mit der Bemerkung: „Starke Belastung des Patienten und Frustration der bisher beteiligten Fachärzte.“ Guter Dinge verlasse ich die Praxis, die Sonne scheint. Mit vorsichtigen Schritten gehe ich zu Edeka und kaufe Aprikosen-Skyr, weil da nicht so viel Zucker drin ist. Schön, dass es wieder häufiger Aprikosen-Milchprodukte gibt.

Sanfte Herbstluft am späten Nachmittag. Ich treffe eine alte Freundin auf dem Deck der „van Loon“ im Urbanhafen. Vor 20 Jahren war ich hier zuletzt gewesen und hatte vergessen, wie schön die Aussicht ist. Sie findet es traurig, dass sie die Schönheit ihrer Lieblingsjahreszeit, nicht mehr so intensiv erlebt wie früher. Ich sage, ich war früher melancholischer als heute und dass noch ein paar Bücher von ihr in meiner Wohnung liegen, zum Beispiel Thomas Melle, Helge Timmerberg und die anderen. Sie sagt, ich soll sie verschenken oder draußen deponieren. Sie gibt mir die Titanic. Sie hat die Zeitschrift schon seit mindestens 20 Jahren abonniert, und ich bin der einzige, der die Titanic manchmal lustig findet. Ich erkläre ihr den Titel, weil sie das mit der konkret nicht mitbekommen hatte; ich weiß das aus den sozialen Netzwerken, in denen sie nicht so aktiv ist. Der Cockerspaniel an der anderen Seite des Ufers sieht aus wie der Hund von Michael Rutschky. Kurz schweigen wir, und die Hunde der Kindheit gehen im Kopf spazieren. Wir grüßen jeden Hund, dem wir begegnen, und morgen fährt sie in die Provence, da soll es ja ähnlich aussehen wie im Urbanhafen. Bringst du mir Kaugummi mit? Pèche Abricot von Hollywood. – Ja.

Zuhause ist es halb sechs. In der Praxis des Psychosomatikers geht niemand ans Telefon. Dann halt morgen. Detlef Kuhlbrodt