Das Trauma der Leute und der Tiere

Die aktuelle Gruppenausstellung „Aktive Asche“ mit Arbeiten von Mariechen Danz, Johannes Paul Raether und KAYA, das sind Kerstin Brätsch und Debo Eilers, im Bärenzwinger zeigt menschliches Format

Mariechen Danz beim Aktivieren ihrer Tonfigur „Womb Tomb“ am 29. September Foto: Johanna Landscheidt

Von Alicja Schindler

Urs, Vreni, Lotte und Jule zogen im August 1939 hier ein. Für fast achtzig Jahre beherbergte das Gehege im Köllnischen Park seitdem mehrere Generationen von Braunbären, dem Berliner Wappentier. Während des Krieges wurde der Zwinger verschüttet, und alle Bären, außer Lotte, kamen um. Seit der Wiedereröffnung 1949 bis in die nuller Jahre blieb er ein beliebtes Wochenend-Ausflugsziel. Dann begannen Tierschützer Kritik zu üben. 2015 musste die letzte Bärin, die 34-jährige kranke Schnute, eingeschläfert werden. Nach fast 2-jährigem Leerstand konnte das Amt für Weiterbildung und Kultur die Verantwortung für das Gebäude übernehmen und es für Ausstellungen nutzbar machen. Derzeit läuft die von Nadia Pilchowski kuratierte Gruppenausstellung „Aktive Asche“ mit Arbeiten von Mariechen Danz, Johannes Paul Raether und KAYA (Kerstin Brätsch und Debo Eilers).

„Dieser Ort ist nicht für Menschen gemacht.“ So erinnert Mariechen Danz einen spontanen Gedanken während ihres ersten Besuchs im Zwinger. „Da kam einem eine Wand von Gerüchen entgegen, durch die ich fast nicht hindurchgehen konnte.“ Seitdem das Innere das erste Mal für BesucherInnen geöffnet wurde, sind einige Jahre vergangen. Der starke Geruch ist längst verflogen. Tritt man ein, schlägt einem trotzdem mehr entgegen als die Kälte, die sich hartnäckig zwischen den Fliesen hält. Nur krachend lassen sich die massiven Eisengitter der Gehege auf und zu bewegen.

Asche wird Rohdiamant

Johannes Paul Raether hat die „Bärenwerkzeuge“, mit denen im Zwinger gearbeitet wurde, mit Teilen von Kinderbuggys rekombiniert. In seiner Arbeit, die sich im Außenbereich als „ZewaArena“ fortsetzt, geht es um den Markt mit menschlicher Reproduktion, aber auch um industrielle Verbrennungen, bei denen Unmengen von CO2 ausgestoßen werden. Raether tritt stets als Figuration einer „SelbstSchwester“ in Erscheinung. Im Zuge der „verschachtelten Interaktionen“, während der die Arbeiten aller drei KünstlerInnen am 29. September von nachmittags bis abends gleichzeitig von ihnen bearbeitet und damit sozusagen „aktiviert“ und in Verbindung gesetzt wurden, äscherte Raether 144 Rollen des klinisch blauen Zewa-Papiers ein: Material aus der Gesamtmenge aller von ihm in der Erscheinung als Figur „Transformellae“ seit 2010 verwendeten Putztücher. Aus dieser Asche soll in einem nächsten Schritt ein Rohdiamant gepresst werden.

Währenddessen kam es zu zwei weiteren Transformationen: Künstlerin Kerstin Brätsch in einem Bärenkostüm tätowierte Debo Eilers. Eine als Krankenschwester gekleidete junge Frau überwachte währenddessen alle künstlerischen Manifestationen. Ging man durch die Außentür hinaus, konnte man sich gemeinsam mit Mariechen Danz um die Versorgung ihrer aufgebahrten Tonfigur „Womb Tomb“ kümmern. Um ihren Körper trug die Künstlerin Papier, auf das die BesucherInnen ihre Sorgen schreiben konnten. Mit einer Plexiglas-Röhre formte Danz Löcher, in die die Besucherinnen ihre Sorgen injizierten. In einem Prozess, der sieben Tage und sieben Nächte dauern wird, soll die mit Sorgen und Rindenmulch aus dem Bärengehege gefüllte Tonfigur nach der Ausstellung in einem Ofen verbrannt werden. Übrig bleibt dann eine korallenartige Fossilisation. „Ich will eine Figur, die aus dem Trauma der Leute und dem der Tiere entsteht. Sie soll nicht frei davon sein“, sagt Danz. Bis zur Verbrennung muss die Tonfigur jede halbe Stunde mit Wasser besprüht werden. Nachts oder wenn es zu heiß ist, wird sie in ein nasses Seidentuch mit einer Malerei von Kerstin Brätsch eingehüllt.

Die künstlerischen Positionen, die aktuell im Bärenzwinger zu sehen sind, brauchen viel Aufmerksamkeit. Zuwendung und Hingabe. Sie schaffen es, gleichzeitig eine Art von lauter Dringlichkeit und stiller Anteilnahme zu erzeugen. Die Werke, die nach den Interaktionen im Bärenzwinger zu sehen sind, sind bedeutungsschwanger. Trächtig von Sorgen, von Geschichte, von noch im Rindenmulch enthaltener Bären-DNA. Was die KünstlerInnen bei den Interaktionen zum Leben erweckten, ist ein neues künstlerisches Format, das nicht nur für die Geschichte des Geheges, sondern auch für unsere von globaler Unsicherheit geprägte Zeit sehr sensibel ist. Alle Arbeiten entstehen aus Kollaboration und Absprache, aus Anteilnahme und Kommunikation, dem Haus und der Natur um sie herum. Ein zutiefst menschliches Format.

Bis 21. Oktober, Bärenzwinger, Im Köllnischen Park. Am 26. und 27. 10. Symposium zum Berliner Bärenzwinger mit Vertretern aus Kunst, Kultur, Architektur und Stadtplanung