Rückkauf auf Sparflamme

Im Deal zwischen der Stadt und Vattenfall um das Hamburger Fernwärmenetz naht die Entscheidung. Die rot-grüne Koalition setzt auf kleine Schritte statt auf den großen Konflikt

Sie kommt zurück – aber nicht so rasch: die Umsetzung de Volksentscheides Foto: Georg Wendt/dpa

Von Sven-Michael Veit

Das Hamburger Fernwärmenetz wird rekommunalisiert – aber schrittweise und nicht sofort. Darauf haben sich die Spitzen der rot-grünen Koalition nach taz-Informationen hinter verschlossenen Türen verständigt. Demnach erhöht Hamburg seinen 25,1-Prozent-Anteil an der Fernwärmegesellschaft, welche die Stadt zusammen mit dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall betreibt, zunächst auf 51 Prozent. In zehn Jahren dann übernimmt Hamburg das Netz vollständig. Den Weg für diese Option hatten die Spitzenfunktionäre der Grünen, die zunächst auf der großen 100-Prozent-Lösung beharrt hatten, vor drei Wochen frei gemacht.

Dieses Vorgehen wäre „ein Bruch des Volksentscheids“, sagt Gilbert Siegler, Sprecher des Hamburger Energietischs. Denn der Entscheid vom September 2013 sah die vollständige Rekommunalisierung bereits zu Ende 2015 vor. Der Energietisch ist ein Bündnis von Initiativen, die sich für die Energiewende in Hamburg einsetzen.

Ein offizieller Senatsbeschluss soll am Dienstag nächster Woche fallen, die Eckpunkte will Bürgermeister Peter Tschen­tscher (SPD) dennoch bereits am heutigen Dienstag im Rathaus bekannt geben. Denn das Vorgehen, auf das die Koalitionspartner sich am Sonntagabend im Gästehaus des Senats am Feenteich geeinigt haben und über das alle Beteiligten eisern schweigen, ist reich an Fallstricken.

2014 hatten der damalige SPD-Bürgermeister Olaf Scholz und Tschentscher als Finanzsenator Vattenfall einen Mindestpreis von 950 Millionen Euro für das gesamte Netz zugesagt. Laut aktueller Gutachten aber liegt dessen Wert nur noch bei 645 Millionen Euro. Vattenfall indes besteht auf der höheren Summe, obwohl die Landeshaushaltsordnung der Stadt das Zahlen überhöhter Preise verbietet.

Für den Senat ist das eine Wahl zwischen Pest und Cholera: Im ersteren Fall könnte er sich der Veruntreuung öffentlicher Gelder schuldig machen, im zweiten Fall dem Konzern eine nach EU-Regularien unerlaubte staatliche Beihilfe gewähren. Dann müsste ein Kauf sehr wahrscheinlich Jahre später rückabgewickelt werden. Die nun nach Informationen der taz gefundene Lösung basiert auf dem geringeren Wert von 645 Millionen Euro.

Beim Volksentscheid am 22. September 2013 votierte die knappe Mehrheit von 50,9 Prozent der Abstimmenden dafür, die drei Energieversorgungsnetze zurück in die öffentliche Hand zu überführen.

Der Wortlaut des Volksentscheids: „Senat und Bürgerschaft unternehmen fristgerecht alle notwendigen und zulässigen Schritte, um die Hamburger Strom-, Fernwärme- und Gasleitungsnetze 2015 wieder vollständig in die Öffentliche Hand zu übernehmen. Verbindliches Ziel ist eine sozial gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien.“

Strom- und Gasnetz wurden bereits 2015 und 2017 für 610 und 275 Millionen Euro rekommunalisiert.

Auf dieser Grundlage erhöht die Stadt ihren Anteil auf zunächst 50,1 Prozent, später dann auf 100 Prozent. Bis dahin betreiben Stadt und Vattenfall das Fernwärmenetz gemeinsam – der Konzern aber darf den gesamten oder den größten Teil des Gewinnes behalten.

Dadurch könnte er auf Sicht den höheren Mindestpreis doch noch realisieren. Dieser Punkt indes ist mit Vattenfall noch nicht endgültig verhandelt, ebenso die Frage, ob notwendige Investitionen in dieser Zeit von der Netzgesellschaft oder allein von der Stadt Hamburg zu tätigen sind.

Vom Ausgang der Verhandlung hinge ab, wie schnell der Energiekonzern sich mit weiteren rund 300 Millionen Euro – der Differenz zwischen Kaufpreis und einst zugesagtem Mindestpreis – schadlos halten kann.