Mit intelligenter Agentin

Jürg Halters „Erwachen im 21. Jahrhundert“ ist ein dystopischer Roman über den digitalen Alltag. Heute stellt er ihn in der Buchhandlung „Buchbund“ vor

Von Julian Weber

Wo ist der Mensch noch Mensch? Im Internet natürlich, wie der Schweizer Autor Jürg Halter überzeugend schreibt: „Der Mensch scrollt, streamt, lädt hoch, lädt runter, loggt sich ein, loggt sich aus, überweist, schreibt und klickt, vergessend, wie die Freiheit des Angebots ihn zusehends gefangen nimmt.“ Halters Roman­debüt, „Erwachen im 21. Jahrhundert, ist eine klasse Situationsbeschreibung dieses aufreibenden digitalen Alltags. Und es ist auch das Psychogramm einer kurzen Nacht, die im Prolog auf den 27. Juni 2018 datiert wird.

Da erwacht der Protagonist, Kaspar genannt, aus einem Albtraum, und denkt an seine verschwundene Freundin Josephine. Um sie wiederzutreffen, macht sich Kaspar auf zu einem Treffen mit ihr in der französischen Hafenstadt Brest. Bis dahin bleiben wir mit Kaspar in den klaustrophobisch anmutenden eigenen vier Wänden bzw. in den Tiefen seines Computers. Dort und am Smartphone geht er mithilfe seiner intelligenten Agentin „Eliza“ Fragen zum Zustand der Zivilisation nach und verliert sich zwischen Selbst­optimierungs-Apps, Ballerspielen und Dating-Seiten. Man fühlt sich an die Dystopien im Spielberg-Film „Minority Report“ erinnert und an ultrakapitalistische Newssites, die scheinbar wahllos Reality-TV-Gossip, Fan-Artikel und Wasserschaden-Ware feilbieten.

Jürg Halter, geboren 1980, ist ein umtriebiger Akteur der jüngeren (Deutsch-)Schweizer Kulturszene. Gleich zu seinen Anfängen machte er als Poetry-Slammer in seiner Heimatstadt Bern und als Mundart-Rapper unter dem Alias Cutti MC von sich reden. Auch „Erwachen im 21. Jahrhundert“ kennzeichnet die schnelle Punchline und einige hanebüchene Plotwendungen.

Seit den Nullern veröffentlichte Halter Alben und Gedichtbände. Damit entspricht er einerseits einer Traditionslinie von Schweizer Querköpfen, vom Maultrommel-Musiker Anton Bruhin bis zum Hippie-Chronisten Urban Gwerder. Allerdings ist Halter eine größere Rampensau. Seine Rapkarriere hat er zwar 2015 beendet, „Erwachen im 21. Jahrhundert“ zeigt nun, dass er auch auf der Langstrecke etwas zu erzählen hat.

Jürg Halter: „Erwachen im 21. Jahrhundert“, Zytglogge-Verlag, Bern, 2018, 227 S., 26 Euro;

Der Autor liest heute Abend aus seinem Roman in der Buchhandlung „Buchbund“, Sanderstr. 8, Neukölln, 19.00 Uhr