Pikst da noch was?

Die in den Grünen aufgegangene Alternative Liste wird am Freitag 40 Jahre alt. Auch die tageszeitung ist in diesen Tagen so alt geworden. Die Grünen und die taz stehen sich von Beginn an nahe. Umso wichtiger ist das Pochen auf journalistische Distanz, sagt unser Parlamentskorrespondent – der von grünen PolitikerInnen schon oft das angebotene Du abgelehnt hat

Der ehemalige Grünen-Bundestags­abgeordnete Hans-Christian Ströbele auf einer Veranstaltung der Alternativen Liste 1989. Ströbele hat die taz mitgegründet – bei der AL wurde er erst 1983 Mitglied Foto: Andreas Schoelzel

Von Stefan Alberti

Es war der erste von vielen Grünen-Landesparteitagen und ich neuer Berichterstatter für die taz. Kaum bei Pressesprechern und Vorsitzenden vorstellig geworden, da kam es schon: das Du. Zu klären, dass wir nicht schon im Sandkasten zusammen gespielt hatten, dass darum ein Sie durchaus angesagt sei, das kostete erst mal einiges an Zeit und Sympathie.

Die taz schienen viele der Berliner Grünen – die wie die tageszeitung in diesen Tagen 40 Jahre alt werden – als eine Art zweite Hauspostille wahrzunehmen, gleich neben ihrem Parteiorgan Stachel. Und ihr neuer Schreiber, anders als bei neuen Redakteuren von Tagespiegel, Morgenpost oder Berliner Zeitung, war demzufolge quasi Parteifreund und zu duzen. Das war auf diesem ersten Parteitag so und ist zumindest teilweise so geblieben – weshalb es weiter sinnvoll ist, gleich in die erste Begrüßung ein Sie einzubauen.

Hinter dem Du steckt im Grunde eine grüne Missachtung journalistischer Standards, die am besten die verstorbene frühere Tagesthemen-Legende Hanns Joachim Friedrichs zum Ausdruck brachte: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemeinmacht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.“

Dabei basiert die erwartete oder erhoffte Nähe zumindest gegenwärtig auf einer Fehleinschätzung. Die alternative tages­zeitung fabrizieren nämlich nicht oder nicht länger mehrheitlich Anhänger der am 5. Oktober 1978 gegründeten früheren Alternativen Liste, die seit 1993 als Bündnis 90/Die Grünen firmiert. Ein taz-interner Urnengang vor der Bundestagswahl 2017, an dem sich 187 tazler und damit rund drei Viertel der Belegschaft beteiligten, ergab stattdessen 45,9 Prozent Unterstützung für die Linkspartei, was unter Berücksichtigung der Fünfprozenthürde die absolute Mehrheit ist. Für die Grünen stimmten weniger als halb so viele tazler, nur 18,9 Prozent. Die SPD schnitt noch schlechter ab als derzeit in bundesweiten ­Umfragen und kam auf 12,4 Prozent.

Was wiederum keine Auswirkung auf die Grünen-Präsenz in der taz hat. Sonst müssten ja auf jeden Artikel über die Grünen mehr als zwei über die Linkspartei kommen – und die SPD dürfte nur am Rande auftauchen. Ist aber nicht so. Ins Blatt kommt, wer etwas zu sagen hat, das die Leserschaft interessieren könnte.

Glückwunschanzeigen zum 40. taz-Geburtstag gab es am Donnerstag von der Linkspartei, und zwar gleich auf Seite 1, von der CDU und der SPD, nicht aber von den Grünen. Die machten das anders: Ihre Berliner Landesvorsitzenden Nina Stahr und Werner Graf brachten morgens zur Redaktionskonferenz eine Geburtstagstorte vorbei.