„Das Chaospasst zum Bild“

Benedict Maria Mülder und Johann Legner gehörten zu den Mitbegründer des Lokalteils der taz. Mülder ist schwerkrank, Legner vor drei Jahren gestorben. Ein Gespräch mit ihren Söhnen, Jim Maria Mülder und Noah Legner

„Die sehen sehr lebendig aus“, sagt Noah Legner Foto: taz

taz: Vor 40 Jahren haben eure Väter die taz mitgegründet – eine völlig verrückte Idee?

Jim Mülder: Es gehört eine ganze Menge Mut dazu, so was auf die Beine zu stellen. Und eine starke innere Haltung: Dass man sich in den anderen Medien nicht repräsentiert fühlt und selbst den Journalismus in die Hand nimmt.

Noah Legner: Ich bin stolz darauf, jemanden in meiner Familie zu haben, der so was gemacht hat. Ich vermute, auch damals war es nicht leicht, eine Zeitung zu gründen. Besonders, wenn man nicht weiß, wie erfolgreich die sein wird.

Wann habt ihr das letzte Mal taz gelesen?

Jim: Das ist länger her.

Aber du hattest schon mal eine in der Hand?

Jim: Auf jeden Fall …

Noah: Ich habe auch schon lange keine taz mehr gelesen.

Warum nicht?

Noah: Ich habe in den letzten fünf Jahren im Ausland gelebt, dort habe ich sehr wenige deutsche Zeitungen gelesen.

Jim: Das liegt weniger am fehlenden Interesse, sondern schlicht daran, dass wir die taz nicht abonniert haben.

Du, Jim hast gerade dein Abitur bestanden und möchtest Journalist werden. Was reizt dich daran?

Jim: Das hat viel mit meinem Elternhaus zu tun. Journalismus und Politik haben zu Hause immer eine große Rolle gespielt. Ich bin aufgewachsen mit dem Kinder-Spiegel, der immer samstags im Tagesspiegel erscheint. Die Kinderversion des Spiegels hatten wir auch abonniert. Daraus entstand ein Interesse.

Dein Vater Benedict war leidenschaftlicher Journalist. Wie hast du das erlebt?

Jim: Mich hat fasziniert, wie er gearbeitet hat. Als Journalist bringt man die Arbeit ja auch immer mit nach Hause. Er war häufig auf Achse. Leben, sozusagen am Puls der Zeit. Das war hochinteressant für mich.

Noah, wie war das bei euch?

Noah: Wir hatten alle erdenklichen Zeitungen herumliegen, auch aus Amerika und Großbritannien. Mein Vater Johann hat auch sonst sehr viel gelesen, vor allem Bücher, Geschichtsbücher, je nachdem, was ihn gerade interessiert hat. Wir haben sehr viel von ihm gelernt. Besonders beim Abendessen hatten wir Gespräche über die neuesten Nachrichten. Mein Vater konnte immer alles sehr gut erklären. Nicht nur, was seine Meinung betraf, auch andere Meinungen. Ob es nun liberale Meinungen waren, oder eher rechte.

War das bei dir ähnlich, Jim?

Jim: Ja. Benedict stand immer sehr klar zu seinen Positionen. Die hat er auch mir vorgelebt und erklärt. Das war für die ganze Familie tagtäglich ein Thema.

Noah, du bist mit deinem Politikstudium fertig. Ist Journalismus für dich auch eine Option?

Noah: Es war eine Option, aber ich hatte nie so ein großes Interesse daran wie mein Vater. Was ich von ihm habe, ist die Leidenschaft für Politik. Johanns Schwerpunkte als Journalist waren ja die transatlantischen Beziehungen. Das war auch einer der Gründe, warum ich nach Amerika gezogen bin und dort mein Bachelor-Studium absolviert habe.

Politisches Interesse verbindet euch beide. Wie informiert ihr euch?

Jim: Wir haben den Tagesspiegel abonniert. Den lese ich morgens am Frühstückstisch. Unterwegs bekomme ich die aktuellsten Themen auf mein Smartphone geschickt.

Würdest du sagen, du bist ein Nachrichten-Junky?

Jim: (lacht) Das ist übertrieben. Aber ich denke, ich bin über das aktuelle Geschehen ganz gut informiert.

Und du, Noah?

Noah: Ich versuche eine Mischung hinzukriegen zwischen Informationen aus den sozialen Medien und anderen Medien.

Vom rechten politischen Rand ausgehend ist viel von Lügenpresse die Rede. Trifft euch das, wenn der gesamte Journalismus damit in Misskredit gerät?

Jim: Ich fühle mich nicht getroffen, ich bin ja noch kein Journalist. Aber ich kann verstehen, dass viele Journalisten die Qualität ihrer Arbeit herabgewürdigt sehen. Alle Journalisten, die bei uns zu Hause ein und aus gehen, weil sie Freunde von meinem Vater sind, machen ihre Arbeit sehr gewissenhaft. Für die ist das ein Schlag ins Gesicht, wenn sie das in der Häufigkeit hören.

Noah: Was mich so nervt, ist, dass ich Leute kenne, die gefälschte Nachrichten lesen und das dann auch noch glauben. Das ist ein Problem. Man muss bedenken, dass es Menschen gibt, die nicht wissen, welche Quellen von Rechtspopulismus beeinflusst werden.

Das ist ja nicht nur ein deutsches Phänomen. Du, Noah hast lange in Amerika gelebt. Die politischen Eliten an den Ost- und Westküsten bestimmen dort den Zeitungsmarkt. Trumps Wähler in den ländlichen Regionen finden sich darin nicht wieder.

Noah: Die Amerikaner haben sowieso sehr viele Probleme. Bildung wird dort längst nicht so gefördert, wie in Deutschland. Es fehlt auch Aufklärung darüber, was gefälscht ist und was nicht. Und was Journalismus überhaupt bedeutet.

Jim, hast du mit Benedict mal über die Gründe für die taz-Gründung gesprochen?

Jim: Eigentlich weniger.

Und du Noah, mit deinem Vater?

Noah: Auch nicht (beide lachen).

Verbindet ihr irgendetwas mit der taz, wo ihr sagen würdet, da ist sie etwas Besonderes in der deutschen Presselandschaft?

Jim: Dass sie unabhängig ist von Werbeträgern. Dass sie eher linksorientiert ist.

Ich zeige euch mal ein Bild von damals …

(beide lachen)

Jim: Ah das – das berühmte Bild.

Noah: Das kenne ich auch. Als ich es das letzte Mal sah, habe ich gedacht, die sehen sehr lebendig aus. Man kann die Leidenschaft schon an den Gesichtern sehen. Ich kenne meinen Vater: Das ist so typisch Johann, wie er einfach dasitzt und raucht. Auch das Chaos passt zum Bild.

Und wir lachen auf dem Bild auch fast alle. Es war immer gute Stimmung.

Noah: Das merkt man.

Was ist für euch guter Journalismus?

Jim: Erste Maxime bei der Berichterstattung ist immer die Wahrheit. Die sollte über allem stehen. Mehrere Quellen, verschiedene Perspektiven machen eine gute Recherche aus.

Noah: Da stimme ich zu. Guter Journalismus bedeutet auch, dass man die Fakten erzählt. Die Fakten, die die absolute Wahrheit sind.

Jim Mülder, Sabine Porn und Noah Legner Foto: Christian Thiel

Gibt es die absolute Wahrheit überhaupt? Hat nicht jeder durch die eigene Sicht auf die Dinge nur einen gewissen Ausschnitt?

Jim: Ein Journalist sollte aber versuchen, diesen Ausschnitt so weit wie möglich zu erweitern. Er sollte so objektiv wie möglich an das Thema herangehen.

Noah: Absolute Wahrheit ist das falsche Wort. Man muss sicherstellen, dass man ein Ereignis so darstellt, wie es ist. Man braucht Zitate, man braucht Daten. Man kann mehrere Richtungen einbringen, aber man muss merken, was der Faden ist: Das ist das Ereignis, darum geht es, und was hat das für Auswirkungen.

Du möchtest gerne einen Bericht mit Fakten lesen und dir dein eigenes Bild machen?

Noah: Ja, auf jeden Fall. Aber Meinung finde ich auch sehr wichtig. Als Journalist soll man ja auch zur Meinungsfindung beitragen. Warum sollte man denn sonst schreiben, wenn man seine eigene Meinung nicht darstellen kann?

Jim, du willst Journalist werden. Möchtest du schreiben oder käme auch Hörfunk oder Fernsehen für dich infrage?

Jim: Wenn man meinen Deutschlehrern Glauben schenkt, dass ich ganz gut schreibe, geht es wohl in Richtung Zeitung. Aber ich bin für alles offen.

Was glaubt ihr – hat die gedruckte Zeitung noch eine Zukunft?

Jim: Ich glaube, die Zeitung muss sich neu orientieren. Vor ungefähr einem Jahr habe ich gelesen, dass Die Zeit inzwischen das einzige Printmedium ist, bei dem die Auflage nicht sinkt. Das liegt daran, dass sie den Fokus vom reinen Nachrichtenreproduzieren hin zu aufwendigeren Reportagen gelenkt haben. Ich glaube, dass ist eine ganz gute Möglichkeit, das Printmedium „zu retten“. Wer nicht damit aufwächst, fängt auch später nicht mehr damit an, sich eine Zeitung zu kaufen oder ein Abonnement abzuschließen. Bei vielen meiner Freunde ist das so.

Noah: Ich glaube auch, dass sich die Zeitungen anders orientieren müssen, wenn sie im Geschäft bleiben wollen. Wie das genau passieren soll, weiß ich nicht. Jim hat recht, dass die Jugendlichen heute ganz anders großgezogen werden als vor 30, 40 Jahren …

und als ihr von euren Eltern.

Noah: Ja. Ich merke aber auch, dass es bestimmte Überschriften gibt, die Jugendliche einfach nicht interessieren. Ich glaube, dass es Zeit ist, die Schreibart, den Stil und die Redewendungen, die im Journalismus benutzt werden, für die zukünftige Generation zu verändern.

Zum Schluss dürft ihr der taz noch was wünschen zum 40. Geburtstag.

Noah: Viel Erfolg und alles Gute für die Zukunft und dass die Gründe in Erinnerung bleiben, warum die taz gegründet worden ist.

Jim: Und weiterhin den Mut, eine Gegenöffentlichkeit zu bilden und Themen zu bearbeiten, die in anderen Medien nicht so eine Beachtung finden.

Interview Sabine Porn, taz Lokalteil, heute bei der BMW Foundation