Die Angst vor dem nächsten Anfall

Thomas Porschen hat Epilepsie. Als Landesvorsitzender der Selbsthilfe kämpft er um Integration – nicht zuletzt als Vater und Autofahrer

AUS KÖLN CLAUDIA LEHNEN

Sie hat sich schlafen gelegt. Seit diesem letzten spektakulären Auftritt vor fünf Jahren ist sie nicht mehr aufgewacht. Thomas Porschen hat sie noch keinen Tag vermisst. Im Gegenteil: Er wünscht sich, sie würde endlich sterben. Aber das wird sie nicht. „Epilepsie begleitet einen ein Leben lang. Ich werde immer betroffen sein“, sagt der 39 Jahre alte Mann.

Thomas Porschen hat Epilepsie. Seit fünf Jahren ist er anfallsfrei. Aber die Angst, sagt er, ist trotzdem ständig da. Porschen hat sich die Aufklärung über die Krankheit und das Leben mit ihr zur Aufgabe gemacht. Er ist Vorsitzender des Landesverbandes für Epilepsie-Selbsthilfe in Nordrhein-Westfalen und auch aktiv im Vorstand der Selbsthilfegruppe in Köln.

Epilepsie, so weiß Porschen, den die Krankheit seit vierzehn Jahren begleitet, ist vor allem ein Stigma: „Die Leute bringen es mit Geisteskrankheit in Verbindung und distanzieren sich deshalb“, sagt er. Natürlich sei das falsch – doppelt falsch. Epilepsie sei vielmehr eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems. Siebzig Prozent aller Erkrankten lassen sich jedoch laut Porschen mit Medikamenten so einstellen, dass die Anfälle ausbleiben.

Porschen ist ein emsiger Mann. Wenn sein Interesse für eine Sache entbrannt ist, dann saugt er Informationen auf, dann organisiert er und plant und informiert. Früher, als die Krankheit ihn noch nicht aus seinem gewohnten Leben gerissen hatte, war er Hotelkaufmann und anerkannter Fachberater für deutschen Wein. „200 Weine hatten wir auf unserer Weinkarte“, sagt Porschen und es klingt stolz. Doch die Hotellerie musste er aufgeben. „Die Medikamente minderten meine Leistungsfähigkeit – Schichtdienst ist außerdem nichts für einen Menschen mit Epilepsie.“ Heute reist er nicht mehr in die Champagne, um Wein zu kosten, sondern nach Innsbruck und Paris, um an Kongressen über Epilepsie teilzunehmen.

Porschen hat alle Epilepsie-Studien zur Hand. Er kennt sich aus mit Erkrankungsrisiken, Medikamenten, Anfallshäufigkeit sowie Epilepsie bei Kindern und Senioren. Er hat einen Notfallausweis für Epileptiker erfunden, den er selbst vertreibt. Thomas Porschen beginnt seine Sätze am liebsten mit: „Was ich auch noch vorhabe, ist...“

Der Mann mit den hellen Locken, der heute in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung arbeitet, ähnelt einem wandelnden Beratungshandbuch für Epileptiker. Egal ob es sich um Kinderwunsch, Schulprobleme oder Führerschein handelt – Porschen hat auf alle praktischen Fragen eine Antwort parat. Oder eine Broschüre zur Hand, die er selbst verfasst hat.

Von Dogmen hält der Vater einer kleinen Tochter nichts: „Früher hieß es immer, Epilepsiekranke können keine Kinder bekommen.“ Das sei falsch. Werde die Schwangerschaft gut überwacht und die Medikamente der Mutter der veränderten Situation angepasst, stehe der Erfüllung eines Kinderwunsches nichts im Wege.

Auch Auto fahren darf Porschen mittlerweile wieder. Eine neue Leitlinie erlaubt es Menschen mit Epilepsie nach zwei Jahren Anfallsfreiheit wieder Auto zu fahren. Eine regelmäßige Kontrolle beim Arzt stellt sicher, dass die Fahrtüchtigkeit gegeben ist. „Es ist schließlich wichtig, dass ich niemanden gefährde.“

Mit seinem Engagement verfolgt Porschen vor allem das Ziel, dass Menschen mit Epilepsie in die Gesellschaft integriert werden. Eine Selbsthilfegruppe hält er deshalb nur für den ersten Schritt auf einem langen Weg. Wenn er eine Selbsthilfegruppe besucht, dann fragt er meist: „Leute, was wollt ihr denn immer noch hier?“ Menschen mit Epilepsie sollten nicht nur unter sich von ihren Leiden erzählen, sondern auch Kontakte mit anderen Menschen knüpfen: „Sie sollen Spaß haben und normal leben können.“

Nicht allen Menschen die er trifft erzählt Porschen von seinen Leiden. Auf die Frage, wie neue Bekannte auf die Information reagierten, dass ein Epileptiker am Tisch sitze, lächelt Porschen und sagt: „Den meisten erzähle ich gar nicht, dass ich Epilepsie habe.“ Auch wenn die Angst vor dem lauernden nächsten Anfall immer da sein wird. Manchmal kann man die Krankheit vielleicht auch einfach nur schlafen lassen.