Neues Album der Band Fenster: Hypnose im ewigen Jetzt

Das Pop-Quartett Fenster aus Berlin hat sein Album „The Room“ bei Jamsessions entwickelt. Das hat dem Psychedelik-Sound gutgetan.

Die Band Fenster

Fenster, hier mal nicht in Norditalien, sondern am Spiegel Foto: Simon Menges

Und plötzlich dreht die Gitarre durch. Wenige Sekunden zuvor wähnte man sich noch an der kalifornischen Küste, surfte auf einem sanften Rhythmus zwischen Psychedelia und Softrock, angeschoben durch groovy Discobeats, und kurzen Tripps in Krautrock-Gefilde. Man kann sich in der Musik von Fenster sehr gut verlieren.

Schon beeindruckend, wie die 2010 in Berlin gegründete Band es schafft, über die Länge von Konzerten und Alben ihren Sound zu einem Smoothie aus Tracks und Stimmungen zu homogenisieren, ohne dass auch nur eine Sekunde davon vorhersehbar wird.

Auf ihren bisherigen vier Alben haben sie einen weiten Bogen gespannt, von den Wurzeln im konventionellen Indie-Folk zum atmosphärischen Soundtrack zum Science-Fiction-Film „Emocean“. Ihr neues Werk „The Room“ ist nun deutlich von einem demokratischen Jam-Session-Ansatz geprägt.

Inbegriff der Berlin-Band

Fenster sind Inbegriff der Berlin-Band: Drummer Elias Hock und Sänger Jonathan Jarzyna kommen aus Deutschland, Bassistin JJ Weihl hat einen US-Pass, und Lucas Ufo, Tasten und Gitarre, ist Franzose. Kennengelernt hat sich das Quartett in der kreativen Blase der Stadt, alle vier arbeiten nebenbei in Off-Kultur-Projekten, unterstützen sich für ihre Soloprojekte gegenseitig. JJ Weihl hat da das Alias Discovery Zone, und Jarzyna verwandelt sich in John Moods.

Für ihr neues Album „The Room“ haben die vier allerdings den Dampfkessel verlassen. Inspiriert ist der Titel von dem Ort, an dem das Album entstanden ist: ein abgelegenes Haus in Norditalien, in dem Fenster alle Songs komponiert, geprobt und dann auch live aufgenommen haben, also die ganze Zeit zusammen verbracht haben.

Fenster: „The Room“ (Altin Village & Mine/Morr Music/Indigo)

Live: 26.9. Z-Bau Nürnberg, 27.9. Milla München, 28.9. Hafven Hannover

Momentan tauschen viele Bandprojekte über Kontinente hinweg Soundfiles in der Cloud, dahingegen ist es Fenster wichtig, Musik gemeinsam an einem physischen Ort zu entwickeln. „Wir schreiben ein neues Kapitel der Band, es ist wie ein Neuanfang“, sagt die in New York geborene Weihl im Interview und spielt darauf an, dass die aktuelle Besetzung mit „The Room“ auch zum ersten Mal zusammen ein Album eingespielt hat.

Eine Band, die Fenster inspiriert hat, ist Can. Doch die Songs klingen nicht epigonal nach Krautrock. Mehr geht es ihnen um die Attitüde: „Wir haben versucht, in unserem Spiel in Trance zu kommen.“

Ferienhaus als Coworking Space

22 Songs haben Fenster für „The Room“ komponiert, zehn Stücke sind auf dem Album gelandet – die Essenz ihres Coworkings. Das Stück „Groovin’ With The Eternal Now“ drückt dies als Motto des Zusammenlebens aus: „Während der Findungsphase der Songs haben wir beim Proben immer versucht, ganz im Jetzt zu sein. Zur Vorarbeit sind wir in die Natur gegangen. Die Band war dann wie ein Schiff, das wir alle vier gesteuert haben. So hat man manchmal das Gefühl, niemand steuert.“

Eine Band, die Fenster für „The Room“ inspiriert hat, ist Can, erzählt JJ Weihl. Doch die Songs von Fenster klingen nicht epigonal nach Krautrock. Mehr geht es ihnen um die Attitüde der Kölner Band. „Wir haben versucht, in unserem Spiel einen Kreislauf zu entwickeln, in hypnotische Trance zu kommen.“ Wie einst bei ihren Vorbildern wird auch bei Fenster der Jamcharakter zum emanzipatorischen Momentum: Keins der Bandmitglieder spielt sich in den Vordergrund. „Demokratisch“ ist ein Begriff, den Weihl immer wieder benutzt.

Die Stücke werden bei Fenster live komponiert, entwickeln sich, wachsen im Spielen. Ein Album kann so immer nur Momentaufnahme sein, es bannt die Stücke zu einem bestimmten Zeitpunkt in den formalen Rahmen eines Albums, während die Musik sich unabhängig davon weiterentwickelt.

Kein Metronom

Auf ein Metronom hat Schlagzeuger Elias Hock bewusst verzichtet. „Das macht unseren Rhythmus ein bisschen wabbelig“, fasst Weihl das Gefühl, das „The Room“ vermittelt, zusammen: „Es war uns wichtiger, frei zu sein, als im Rhythmus präzise zu klingen.“ Insofern erschafft „The Room“ tatsächlich einen Raum mit eigener Zeit, der Takt nicht maschinell gemessen, sondern subjektiv kreiert.

Rhythmuswechsel und Tempiwechsel, exemplarisch steht dafür der Auftaktsong „The Room“, klingen organisch und locker. Es sind nicht die einzigen Überraschungsmomente des Albums. Alle Songs nehmen jeweils neue Wendungen, setzen markante Pausen, werden von pluckernden Effekten gespickt, wechseln von Melancholie („Feel Better“), zum strengen Motorikbeat („HBW“), zu Slow-Motion-Funk („Groovin' With The Eternal Now“), zu einem verdrehten Softpopsong in der Manier von Fleetwood Mac („The Room“).

Trotz dieses Referenz- und Stimmungshoppings gelingt es Fenster, immer exakt wie Fenster zu klingen. Mit „The Room“ schaffen sie noch mehr: einen Klangraum wie ein Labyrinth, in dem man immer wieder etwas Neues entdeckt – und aus dem man nicht so einfach wieder herauskommt.

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