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„Der Wandel war drastisch“

Raúl Calle Pintado, Geschäftsführer des Kooperativenverbandes Norandino, wird auf der Fairen Woche über die Wirkung des fairen Handels berichten

Foto: Ethiquable/Norandino

Raúl Calle Pintado

Der Peruaner, Jahrgang 1970, hat an der Universität Piura studiert und arbeitet seit mehr als zehn Jahren für Norandino und die Vorgängerorganisation Cepicafe. Auf der Fairen Woche wird er am „Pro­du­zent*in­nen­gespräch ‚Perspektivwechsel‘“ teilnehmen: 14. 9. 2018, 17–19 Uhr, Friedrichshain-Kreuzberg Museum, Adalbertstraße 95, 10999 Berlin

taz: Warum wurde die Kooperative Norandino vor über 20 jahren gegründet?

Raúl Calle Pintado:Studenten der Universidad Nacional de Piura, hier in unserer Region im Norden Perus, suchten damals nach Wegen, um die Kleinbauern in den Bergen zu unterstützen. Die meisten von ihnen waren selbst in den Bergen aufgewachsen und kannten Kleinbauern. Sie wussten, wie schwer es ihre Nachbarn, ihre Familienangehörigen und ihre Freunde hatten. Wir produzieren hier in 3.100 Metern Höhe, und es ist oft ziemlich kalt. Sie gründeten Pidecafe, einen Vorläufer unserer heutigen Kooperative. Weil der Markt für Kaffee in Peru damals sehr schwach war, entschied man sich, zu exportieren. Im ersten Jahr war es gerade einmal ein halber Container. Das war der Anfang des Kaffeeexports in unserer Region.

Welche Bedeutung haben Fairtrade-Siegel für Sie?

Ohne die Siegel könnten die Kooperativen hier nicht überleben, so niedrig ist der Marktpreis für Kaffee oder Zucker.

Ist es schwierig, deren Kriterien zu erfüllen?

Einige sind bürokratischer als andere. Manchmal müssen unsere kleinen Kooperativen schon mit Sanktionen rechnen, wenn auf einem der vielen Dokumente eine Unterschrift fehlt. Wir geben uns die größte Mühe, alle Anforderungen zu erfüllen, aber mit der Zeit ist alles sehr bürokratisch geworden.

Das Siegel SPP wurde auf Initiative von Norandino gegründet. Warum dieses eigene ­Siegel?

Uns war von Anfang an wichtig, dass das Siegel nur an Kleinproduzenten vergeben wird, denn wir glauben nicht, dass man bei Großunternehmen von fairem Handel sprechen kann.

Wie hat sich das Leben der Kleinproduzenten in den letzten zwanzig Jahren durch den fairen Handel verändert?

Der Wandel war drastisch, in jeder Hinsicht. Das sieht man gut am Beispiel Rohrzucker. Früher haben die meisten Zuckerbauern hier Chancaca hergestellt und daraus Aguardiente gebrannt, einen ziemlich billigen Fusel. Von einer Flasche werden fünf Leute besoffen, und sie hat einen Sol gekostet [ca. 25 Cent, d. Red.]. Damals gab es ein großes Alkoholproblem, wir hatten viele Fälle häuslicher Gewalt.

Was ist denn Chancaca?

Chancaca ist ein unraffinierter Rohrzucker. Er war das Nahrungsmittel der Ärmsten der Armen. Damals war er nichts wert, und heute bekommen die Produzenten einen festgelegten, guten Preis dafür. Jetzt wird der Zucker für den Export produziert, es gibt mehr zu verdienen als mit dem Fusel. Die Mitglieder der Kooperative können ihre Kinder zur Schule schicken. Die häusliche Gewalt gegen Frauen ist drastisch zurückgegangen. Und die Kooperativen sorgen auch dafür, dass die Frauen nicht allein zu Hause sitzen, sondern dass sie in die Genossenschaft eingebunden sind, sie nehmen an den Versammlungen teil und entscheiden mit. Die Kleinbauern bringen den rohen Rohrzucker auch nicht mehr mit dem Pferd, sondern mit Lieferwagen.

Geht der Rohrzucker direkt in den Export?

Wir haben dreißig kleine Raffinerien. Wenn der rohe Rohrzucker angeliefert wird, ist er hart wie Stein und hat je nach Produzent ganz unterschiedliche Farbschattierungen. Hier in der Fabrik gleichen wir ihn von der Konsistenz her an. Er wird zerkleinert, verpackt und exportiert. Wir exportieren also nicht roh, sondern behalten einen großen Teil der Wertschöpfung hier. Was auch wichtig ist: Norandino beschäftigt Experten, die die Kleinproduzenten darin schulen, wie sie die richtige Qualität herstellen. Und auch die bezahlen wir aus den Einnahmen des fairen Handels. Der faire Handel verbessert auch die Qualität!

Sie unterstützen auch ein Aufforstungsprojekt.

Wir beteiligen uns in Peru als Erste am fairen Emissionshandel. Für zwanzig Jahre haben wir einen Emissionsrechtehandel für 53.000 Tonnen CO2. Die Tonne wird mit rund 15 Dollar gehandelt. Dafür forsten wir 500 Hektar Wald wieder auf.

Interview: Martin Kaluza