Brexit-Abkommen mit der EU: Alle sind gegen Theresa May

Großbritanniens EU-Befürworter und -Gegner gehen in die entscheidende politische Schlacht. Beide Lager lehnen die Brexit-Linie der Premierministerin ab.

Zwei Männer diskutieren und gestikulieren. Einer von ihnen trägt eine EU- und eine britische Flagge

In einer Sache sind sich beide Lager einig: Theresa Mays Brexit-Plan ist nicht gut genug Foto: reuters

LONDON taz | Der Druck steigt. Kein Tag vergeht in Großbritannien ohne neue Schlagzeilen über die umstrittene Brexit-Politik von Theresa Mays konservativer Regierung. Entscheidend werden die Jahresparteitage Labours kommende Woche und der Konservativen in der Woche danach. Denn um für ein Abkommen mit der EU den Segen des Parlaments zu erhalten, braucht May eine parteiübergreifende Mehrheit. Der Kampf um die Stimmen wird nicht nur im Westminster-Palast ausgetragen, sondern inzwischen auch auf den Straßen, wo sich neue Kampagnen formiert haben.

Auf der Seite des „harten Brexit“ steht an erster Stelle „Leave Means Leave“. Ihr gegenüber trommeln die Brexit-Gegner von „People’s Vote“ seit Monaten für ihre Idee einer zweiten Volksabstimmung, die den Brexit kippen soll.

„Leave Means Leave“ wollte sich eigentlich schon vor zwei Wochen der Öffentlichkeit präsentieren. Der Termin wurde kurzfristig storniert mit der Begründung: „Es ist noch nicht alles fertig organisiert.“ Geplant ist derzeit ein Auftakt am kommenden Samstag in Bolton, im Nordwesten Englands, wo die Brexit-Stimme stark war.

Nigel Farage, der ehemalige Ukip-Parteiführer soll dann mit dabei sein. Er ist Kodirektor von „Leave Means Leave“, zusammen mit John Longworth, Ex-Generaldirektor der britischen Handelskammer, und Unternehmer Richard Tice, der einst hinter Farages Referendumskampagne stand. Farage erklärte in der Zeitung Daily Telegraph, er kehre zurück, „damit das Land seine eigenen Gesetze machen kann und Verantwortung für seine Zukunft trägt“.

Nur eine Frau auf der Unterstützerliste

Dem Anschein nach ist „Leave Means Leave“ derzeit hauptsächlich ein weißer Männerklub, mit vielen bekannten Gesichtern vom rechten Flügel der Konservativen. Es befindet sich nur eine einzige Frau auf der Unterstützerliste im Internet.

Da muss es gelegen gekommen sein, dass Kate Hoey – die Brexit-überzeugte Labour-Abgeordnete für den Südlondoner Wahlkreis Vauxhall – sich als Stütze von „Leave Means Leave“ zum Wort meldete: „Ich bin nicht Mitglied der Kampagne selber, werde aber bei öffentlichen Veranstaltungen mithelfen“, teilte Hoey der taz mit. „Das Referendum ist hinter uns. Es kann nicht sein, dass es auf einmal nicht mehr das ist, wofür die Mehrheit des Landes wählte. Auf alle Fälle ist es nicht das, was Theresa May nun vorschlägt“, meint sie.

Mays „aufgeweichter Brexit“ sei nicht einmal für Nordirland richtig, insistiert Hoey, die selbst aus Nordirland stammt und für eine klare Trennung von der EU plädiert: „Die Freizügigkeit wird bleiben, Iren beider Seiten können auch ohne die EU in Großbritannien arbeiten, und der Rest kann technologisch gelöst werden“, versichert sie. Deshalb will sie nun durch das Land touren. Denn: „Wir haben die etablierten Kräfte gegen den Brexit unterschätzt.“

Die Labour-Politikerin meint damit Geldgeber von „People’s Vote“. Julian Dunkerton, Gründer der Kleidermarke Superdry, schenkte der neuesten Anti-Brexit-Kampagne eine Million Pfund. Multimillionär George Soros unterstützt mit 400.000 Pfund „Best for Britain“, die mit „People’s Vote“ zusammenarbeitet. Da derzeit kein Referendum ansteht, gibt es für solche Spenden keine Obergrenzen.

Sie wollen ein neues Brexit-Referendum

Bedeuten solche Großspenden vor einem möglichen neuen Referendum kein unfaires Spiel? „Nein!“, beteuert „People’s-Vote“-Sprecher Barney Scholes im Hauptquartier im Londoner Millbank Tower. Im karierten Hemd mit Jeans sagt der 28-Jährige: „Wir wehren uns gegen Anklagen der Brexitlobby, dass wir vom Geld einer Elite gesteuert werden. Viele unserer Gelder kommen von kleinen Einzelspenden.“ Andererseits dementiert er nicht, Spenden von multinationalen Konzernen erhalten zu haben.

Statt über Geld spricht Scholes lieber über die Kampagne. „Keiner im Land, weder Remain noch Brexit-Unterstützer*Innen, befürworteten den Vorschlag, den May als ihren besten Plan bezeichnete“, behauptet er. Er meint das Brexit-Konzept, das May bei einer Kabinettsklausur im Juli auf ihrem Landsitz Chequers durchdrückte und das die Minister Boris Johnson und David Davis zum Rücktritt veranlasste.

„Die EU hat bereits klargestellt, dass einige der Vorschläge vollkommen unakzeptabel seien,“ sagt er. Mit dieser Botschaft geht „People’s Vote“ nun unter die Leute. „Damit wollen wir erreichen, dass die Wähler ihre Parlamentsabgeordneten unter Druck setzen. Andere Teams von uns versuchen parallel, Politiker*innen direkt zu überreden.“

Das Ziel: Das Parlament soll ein neues Brexit-Referendum ansetzen. Das mag nicht gerade leicht sein, ist aber auch nicht unmöglich. Immerhin hat „People’s Vote“ bekannte Gesichter hinter sich: Schauspieler und Kabarettisten, Fußballkommentator Gary Lineker, Politiker aller Parteien.

Beide Seiten greifen May frontal an

Sie meinen, die Stimmung im Land habe sich gedreht. Mit dem gespendeten Geld, sagt Scholes, „wurden bisher vor allem solide unabhänige Meinungsumfragen gemacht. So konnten wir feststellen, dass die Unterstützung für Brexit um acht Punkte zurückgegangen ist.“ Er meint: „Ich bin mir sicher, dass niemand für unsicherere Arbeitsplätze oder eine schrumpfende Wirtschaft wählte. Eine weitere Wahl, oder ein Referendum mit präzisen Optionen, ist in aller Interesse und demokratisch.“ Favorisiert wird ein Referendum mit drei Optionen: ein harter Brexit, der von Theresa May verhandelte Plan oder ein Verbleib in der EU.

Die Brexit-Befürworter wollen demgegenüber das Referendum von 2016 voll umgesetzt wissen: also ein Brexit ohne Vereinbarung mit der EU Ende März 2019. „Wir wollen Handel nach den Regeln der Welthandelsorganisation betreiben können“, gibt Longworth als Ziel von „Leave Means Leave“ an.

Ein solcher Austritt wäre aus Sicht von „People’s Vote“ eine reine Katastrophe. Aber sonst sind sich beide Kampagnen ähnlicher, als es scheint. Wie „People’s Vote“ setzt Leave Means Leave auf Lobbyarbeit im Parlament und öffentliche Aufklärung. Beide sprechen von Lügen der anderen und beteuern zugleich, dass sie die Ansichten der Gegenseite ernst nähmen.

Und: Beide Seiten greifen May frontal an. „Die Pläne von Theresa Mays Regierung sind extrem schlecht“, moniert John Longworth. Scholes bezeichnet den Plan der Regierung als „etwas, das niemanden glücklich machen kann“.

Parteipolitische Arbeit

„People’s Vote“ konzentriert sich nun ganz auf den Labour-Parteitag nächste Woche: Die Partei soll sich hinter ein zweites Referendum stellen. Das tat vergangene Woche schon der Gewerkschaftsdachverband TUC. „Diese Arbeit wird aber nicht von uns selber getan, sondern von Anhängern von uns in der Labour-Partei, denn diese kennen die Partei in- und auswendig“, verrät Scholes. Immerhin hat Labour inzwischen erklärt, dass sie im Parlament gegen Mays Plan stimmen würde.

Longworth sieht die Arbeit von „Leave Means Leave“ ebenfalls parteipolitisch. An der konservativen Basis werden Mays Pläne mehrheitlich abgelehnt, um den Abgeordneten Jacob Rees-Mogg herum agiert der Arbeitskreis „European Research Group“ mit rund 60 Abgeordneten für einen harten Brexit. „Wenn sich die Konservativen nicht eindeutig auf unsere Seite stellen“, prophezeit Longworth, „könnte es die Partei zerstören.“

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