Die Bands bei #wirsindmehr in Chemnitz: Hier ist keiner allein

Die Musiker in Chemnitz wissen genau, worum es geht. In ihrer Jugend haben sie sich mit Neonazis geprügelt – und jetzt mit Zehntausenden ein Zeichen gesetzt.

Der Sänger Felix Brummer von Kraftklub

Felix Brummer von Kraftklub: Chemnitz ist sein Zuhause Foto: dpa

CHEMNITZ taz | Es ist an diesem Montagabend vor der Bühne in Chemnitz so voll, dass die meisten Leute die große Bühne kaum noch sehen können. Es ist so voll, dass die Musik in den hinteren Reihen kaum noch zu hören ist, und man die Texte nur dank der vielen mitsingenden Menschen verstehen kann.

„Wir sind mehr“ lautet das Motto dieses Konzert, das allein deswegen stattfindet, weil ein wütender rechter Mob vor eine Woche in Chemnitz Migranten gejagt und den Tod eines Chemnitzers instrumentalisiert hat. Nun will dieses Konzert ein Zeichen setzen. Ein Zeichen gegen diesen Mob, gegen Rechtsradikalismus und Faschismus. Künstler und Publikum wollen die Straße nicht den Neonazis zu überlassen – und nicht die Bilder in den internationalen Medien, die auch an diesem Montag wieder anwesend sind.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Von 50.000 spricht die Stadt schon am frühen Abend, als immer noch Menschen in die Innenstadt strömen. Mit Antifa- und Regenbogenfahnen, mit Refugees-Welcome-Transparenten oder Plakaten mit Sprüchen wie „Die Mauer muss weg“. Und ja, an diesem Abend sind sie mehr.

Das ist leider an vielen anderen Tagen nicht der Fall. Das wissen auch „Kraftklub“, die vor drei Monaten und vor drei Jahren schon auf Demos hier gespielt haben – ohne die Weltpresse. Oder „Feine Sahne Fischfilet“, die auf ihrer „Noch nicht komplett im Arsch“-Tour durch die Dörfer von Mecklenburg-Vorpommern gezogen sind, um die Leute zu unterstützen, die sich dort noch gegen Neonazis einsetzen.

Und alle machen mit

Auch in Chemnitz gibt es viele Leute, die sich gegen Faschismus engagieren, betont Rola Saleh, die sich seit Jahren gegen Rechtsradikalismus in Chemnitz engagiert, und die hier mit vielen anderen des Bündnisses „Chemnitz Nazifrei“ auf der Bühne steht, um sich für antifaschistisches Engagement aussprechen, bevor die gefeierten Bands auftreten.

Aber auch in den Bands wissen viele genau, worum es hier geht. Sie kommen aus der ehemaligen DDR, haben die Nachwendezeit erlebt und sich in ihrer Jugend mit Neonazis geprügelt. „Ich hab täglich auf die Fresse bekommen“, sagt Marteria, der Rostocker, der sich daran erinnert, wie er 1992 mit Mutter und Schwester weinend im Wohnzimmer in Lichtenhagen saß, wo ein wütender Mob die Leute anfeuerte, die die Ausländer aus dem Sonnenblumenhaus rausprügeln wollten. „Wenn ich erzählt habe, dass ich aus Rostock komme, haben viel – auch im Ausland – gesagt: ‚Ach, die Nazistadt?‘“

Der Sänger Trettmann ist in Karl-Marx-Stadt geboren, hat hier seine Jugend verbracht. Ihn haben die Ereignisse der letzten Wochen erschüttert, wie er sagt. „Das Problem des Rechtsradikalismus verfolgt und belastet mich schon immer.“ Auch für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass er hier auftritt. „Ich hatte schon überlegt, was man machen kann, als Felix mich anrief.“ Nun brüllt er von der Bühne: „Ich sag': Wir sind. Ihr sagt: mehr!“ Und alle machen mit.

Felix Brummer, Sänger der Band „Kraftklub“, die hier lebt und das Konzert initiiert hat, zeigt sich sehr dankbar, dass so viele Bands gekommen sind. „Innerhalb von 24 Stunden haben alle zugesagt.“ Ihm sei natürlich klar, dass ein Konzert nicht die Welt retten wird. „Aber es ist notwendig, zu zeigen, dass man nicht allein ist.“ Allein ist er nicht. Menschen aus Chemnitz und aus der ganzen Republik sind gekommen. Viele junge, aber auch ältere und Familien mit Kindern. Punks, Hippies und Büroangestellte.

„Wir sind 70.000“

Und so steht Felix Brummer vor ihnen und sagt „Herzlich Willkommen in Chemnitz“, während Zehntausende jubeln. Und kurz bevor die Toten Hosen als letzte die Bühne betreten, rollen immer noch Autos auf die gesperrten Straßen rund ums überfüllte, auf einem Parkplatz kurzfristig aufgebaute Konzertgelände zu. In einem verbeulten Golf sitzen drei Österreicher. „Wir haben ein bisschen länger gebraucht“, sagen sie.

Nachdem die Toten Hosen ihre alten linken Songs wie „Das ist auch mein Land“ gespielt haben, holt Campino überraschend Rod von „Die Ärzte“ auf die Bühne, um zusammen deren größten Anti-Nazi-Song „Schrei nach Liebe“ zu singen. Und selbst die letzten Reihen, die ihn kaum noch hören können, singen auswendig mit, bevor Campino die anderen Künstler auf die Bühne ruft und als Abschiedssong „You’ll never walk alone“ anstimmt. „Wir sind 70.000“, schreit Campino. Und alle: „Wir sind mehr.“

Und so hat Marteria wohl Recht, wenn er sagt, dass dieses Konzert auch ein Teil der Erinnerung werden wird, die viele Leute haben, wenn sie an Chemnitz denken. Nicht nur die Nazistadt. Sondern, sagt der Rapper, „ein Teil Musikgeschichte“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.