„Sie leisten dort ihren Beitrag, wir leisten unseren hier“

Der Journalist Tunca Öğreten wurde im Rahmen des gleichen Ermittlungsverfahrens verhaftet wie der deutsche Journalist Deniz Yücel. Auch er verbrachte ein Jahr im Gefängnis. Seit seiner Freilassung schreibt er für taz gazete

Interview Ali Çelikkan

taz gazete: Herr Öğreten, Sie waren genauso lange im Gefängnis wie Deniz Yücel. Sind Sie auch ein „Terror-Agent“?

Tunca Öğreten: Wenn du in der Türkei regierungskritischer Journalist bist, bleibt dir nichts anderes übrig, als „Terror-Agent“ genannt zu werden. Nachdem ich über die gehackten E-Mails von Präsident Erdoğan geschrieben habe, wurde ich so gebrandmarkt. Der lustigste Grund für meine Strafe war aber meine Freundschaft zu Deniz Yücel. Das ist kein Scherz. In der Anklageschrift stand wirklich: „Steht in Kontakt mit Deniz Yücel“. Mein Verfahren läuft noch, aktuell fordern die Staatsanwälte 19,5 Jahre Gefängnis für mich.

In der Türkei ist die Haftstrafe für Journalist*innen inzwischen gewöhnlich geworden.

Es gibt sehr viele erfolgreiche Journalist*innen, gegen die noch kein Verfahren eröffnet wurde. Offenkundig ist es gefährlicher, über bestimmte Themen in der Türkei zu schreiben als über andere. Texte über Menschenrechtsverstöße in den kurdischen Gebieten, geheime Dokumente der Erdoğan-Familie oder kritische Beiträge über Militäroperationen in den Grenzgebieten schreien förmlich nach einer Haftstrafe.

Wie war das Leben nach Ihrer Entlassung? Haben Sie Ihre Arbeit bei der oppositionellen Nachrichtenplattform „Diken“ fortgesetzt?

Ich habe nach meiner Entlassung direkt angefangen zu arbeiten. Der erste Tweet lautete: „Wo waren wir stehen geblieben?“ Alles war so, wie ich es hinterlassen hatte. Ich habe mich so gefühlt, als wäre ich zwei Tage auf Recherchereise gewesen und dann wieder zurückgekehrt.

Wie würden Sie die Lage der türkischen Medien beschreiben?

Schon vor der AKP-Regierung haben türkische Medien den Auftrag übernommen, staatskritische Stimmen zu kriminalisieren. Deshalb sind die Mainstreammedien für mich tot. Frei nach Namık Kemal, einem Schriftsteller aus der Türkei des 19. Jahrhunderts, würde ich die Lage der türkischen Medien so beschreiben: „Druckt die Lügen und ich küsse den, der sie glaubt.“

Was ist die taz Panter Stiftung?

Die Stiftung wurde 2008 gegründet, um die Erfahrungen von unabhängigem Journalismus weiterzugeben. Mehr als 3.500 Spender*innenhaben inzwischen mehr als 130 journalistische Projektefinanziert.

Pressefreiheit in der Türkei bedroht

Die Pressefreiheit in der Türkei ist weiterhin elementar bedroht. Nach wie vor sitzen mehr als 100 JournalistInnen im Gefängnis.Oppositionelle Medien müssen tagtäglich mit ­Anzeigen wegen ­„Verdachts auf Unterstützung terroristischer Organisationen“ rechnen.Was ist taz gazete?

taz gazete will Gegenöffentlichkeit herstellen. Es werden online und in der Printausgabe der taz Texte von kritischen Journalist*innen aus der Türkei in deutscher und türkischer Sprache veröffentlicht. Außerdem wollen wir zur deutsch-­türkischen Community eine Brücke bauen. Das Projekt kostet etwa 150.000 Euro pro Jahr.

Sie haben sich inzwischen von „Diken“ getrennt.

Ich werde weiterhin als unabhängiger Journalist arbeiten. Türkischsprachige Portale im Ausland, wie die taz gazete, sind eine der wenigen Plattformen, bei denen man echten Journalismus betreiben kann.

Es gibt zwar internationale Solidarität. Aber türkische Journalisten, die für ausländische Medien schreiben, werden auch als „Knechte des Imperialismus“ beschimpft.

In den Augen der türkeistämmigen Leser*innen gibt es keinen Unterschied. Denn selbst diejenigen, die sich in der Türkei als Oppositionelle zur AKP definieren, sehen alles nur schwarz und weiß. Wir sind eine paranoide Gesellschaft. Die internationale Solidarität ist ein von der Gesellschaft in der Türkei in der Regel nicht akzeptiertes Konzept. Denn die Leute finden es unsinnig, anderen Menschen nur der Solidarität wegen zu helfen, so ganz ohne Gegenleistung. Die AKP propagiert ein kapitalistisches Weltbild, das es nicht ermöglicht, zu helfen, ohne etwas zurück zu verlangen.

Für viele Journalist*innen stellt sich die Frage: Bleiben oder ins Ausland gehen? Was denken Sie?

Ich finde es nicht abnormal, dass Journa­list*innen, die in der Türkei von nicht-­unabhängigen Gerichten verurteilt werden, das Land verlassen. Man soll von niemandem erwarten, so verrückt zu sein und sich wegen unsinniger Beschuldigungen ins Gefängnis bringen zu lassen. Ich schätze die Kolleg*innen, die in der Diaspora bei Exil-Medien arbeiten. Sie leisten dort ihren Beitrag, wir leisten unseren hier.

Was bedeuten Portale wie die taz gazete für Journalist*innen in der Türkei?

Tunca Öğreten,

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geboren 1981 in Istanbul, hat an der Bilgi-Universität studiert. Er arbeitete im Irak für den Daily Telegraph, dann für die türkische Zeitung Taraf, die nach dem Putschversuch 2016 geschlossen wurde, und für die Online-Plattform Diken. Seit seiner Haftentlassung schreibt er unter anderem für die taz.

Medien wie die taz gazete bieten den Journalist*innen in der Türkei eine Möglichkeit aufzuatmen, einerseits aus finanzieller, aber auch aus beruflicher Sicht. Man sollte solche Portale stärken. Vielleicht könnte man die taz gazete sogar in eine europäische Nachrichtenagentur verwandeln, die in der Türkei aktiv ist. Zudem gibt es derzeit kein unabhängiges, englischsprachiges Portal, das in der Türkei Journalismus macht. Die vorhandenen Portale sind entweder von der Regierung oder gehören der Gülen-Bewegung an. Insofern könnte man das Netzwerk der taz in eine Art Agentur erweitern, die Nachrichten aus der Türkei auf Englisch und auf Deutsch liefert.

Viele Deutsche sind besorgt über die Lage in der Türkei. Was können sie tun, um die Türkei zu unterstützen?

Sie können das auf zwei Wegen tun: Einmal können sie Druck auf ihre eigene Regierung ausüben, damit diese Erdoğans antidemokratische Politik nicht weiter toleriert. Und natürlich können sie taz gazete unterstützen

Aus dem Türkischen von Cem Bozdoğan