Brüssel soll Weltpolitik machen

Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, hält seine letzte große Rede zur Lage der EU

Aus Straßburg Eric Bonse

Es passiert nicht alle Tage, dass ein Politiker eine Liebeserklärung abgibt. Doch in seiner letzten großen Rede zur Lage der Europäischen Union wurde Jean-Claude Juncker ungewohnt emotional. Europa sei die „Liebe meines Lebens“, sagte der Präsident der EU-Kommission, der nach der Europawahl im Mai 2019 nicht mehr antritt.

Wer erwartet hatte, dass Juncker seine Liebeserklärung mit einem politischen Vermächtnis verbindet, wurde enttäuscht. Kein Blick auf die Flüchtlingskrise 2015 und das Brexit-Referendum 2016, die die EU verändert haben. Auch die Wahlschocker in Österreich, Italien oder Schweden spielten keine Rolle.

Juncker warnte zwar vor „giftigem Nationalismus“, dem er einen „aufgeklärten Patriotismus“ entgegenhielt. Doch mit den Ursachen für die rechte Revolte hielt er sich nicht lange auf. Nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft interessiert den Luxemburger, der für sein letztes Jahr in Brüssel noch große Pläne hat.

Vor allem die große Politik treibt ihn um. Europa müsse „weltpolitikfähig“ werden und schneller auf Krisen wie in Syrien reagieren, so Juncker. Damit dies gelingt, soll die Einstimmigkeit in der Außenpolitik aufgegeben werden. Wichtig sei dies vor allem bei Beschlüssen zu Menschenrechtsverletzungen, zur Entsendung ziviler Auslandsmissionen und zu Sanktionen.

Auch den Euro will Juncker zu einem globalen Machtfaktor machen. „Der Euro muss das Gesicht und das Werkzeug der neuen europäischen Souveränität werden“, forderte er. Es sei „abwegig“, dass Europa 80 Prozent seiner Energieeinfuhren in Dollar bezahle und nicht in Euro. Das soll sich ändern – vor allem mit Russland will die EU künftig Geschäfte in Euro abwickeln, sagten EU-Diplomaten.

Das zweite große Thema war die Flüchtlingspolitik. Juncker forderte die Mitgliedstaaten auf, sich noch vor der Europawahl auf eine Reform des Asylsystems und die Verteilung von Flüchtlingen zu verständigen. „Wir können nicht bei der Ankunft jedes neuen Schiffs über Ad-hoc-Lösungen für die Menschen an Bord streiten“, sagte er.

Der Kommissionschef bekräftigte auch seinen Plan, die EU-Grenz- und Küstenschutzbehörde Frontex bis 2020 auf 10.000 einsetzbare Beamte auszubauen. Gleichzeitig soll Frontex die Mitgliedstaaten stärker bei schnelleren Abschiebungen „irregulär eingereister Migranten“ unterstützen. Die Regie soll dabei die EU übernehmen – es wäre gelebter europäischer Föderalismus, so ein Diplomat.

Neben größerer Abschottung und schnellerer Abschiebung fordert Juncker auch, die legale Einwanderung zu erleichtern. Auch eine „neue Allianz“ mit Afrika ist geplant. Ähnliche Ideen hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgebracht; nun könnten sie Gestalt annehmen. Auch die Abschaffung der Zeitumstellung im Sommer will Juncker voranbringen.

Ob es dafür eine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten gibt, ist fraglich. Denn die EU-Staaten erweisen sich zunehmend als Spielverderber. Erst im Juni war die von Frankreich forcierte Reform der Eurozone gescheitert – nicht zuletzt am Widerstand Deutschlands. Auch die seit 2015 angekündigte neue Asyl- und Flüchtlingspolitik fiel der Blockade im Ministerrat zum Opfer. Hier steht vor allem Ost­europa auf der Bremse.

„Sündenböcke gibt es überall, aber die wenigsten sitzen in der Kommission und im Parlament“, resümierte Juncker. Das klang fast schon ein wenig resigniert.