Jetzt geht’s an die Schmutzwäsche

Das Maxim Gorki Theater startet mit zwei Regisseurinnenund ihren Stücken zur #MeToo-Debatte in die neue Spielzeit

„You are not the Hero of this Story“ von Suna Gürler Foto: Ute Langkafel/maifoto

Von Barbara Behrendt

Es war nur eine Frage der Zeit, bis die #MeToo-Debatte auch auf der Bühne ausgelotet werden würde. Man kann zwar nicht behaupten, das Theater hätte in den vergangenen 2000 Jahren die Themen Machtmissbrauch („Richard III.“, „Macbeth“), sexuelle Übergriffe („Baumeister Solness“) und ambivalente Geschlechterbeziehungen („Penthesilea“, „Emilia Galotti“, „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ – you name it) ausgeblendet. Aber die Entschiedenheit, mit der Frauen (und Männer) seit einem Jahr auspacken, die Machtstrukturen nicht mehr hinnehmen, könnte, um einmal die positiven Seiten der Debatte zu benennen, langfristig etwas verändern.

Stoff also fürs gesellschaftspolitische Gorki. Gleich zwei Recherchestücke zum Thema stellt es an den Spielzeitbeginn. Den Auftakt machen die jungen Schweizer Lucien Haug und Suna Gürler: Gemeinsam haben sie den Text für „You are not the Hero of this Story“ entwickelt, Gürler, die zum talentierten feministischen Regie-Nachwuchs gehört, hat ihn inszeniert. Grundfrage: Wie geht’s eigentlich den Männern?

Man hört es den Interviews, die aus dem Lautsprecher der Studiobühne dringen, an: #Metoo hat Männer verunsichert. Wann sie sich männlich fühlen? Rumdrucksen, stereotype Statements, manche selbstironisch gebrochen: als man die Freundin beschützt, aus Wut die Wand eingeschlagen hat. Ganz unmännlich: Furcht vor dem Grashüpfer im Zimmer der Tochter. Angst und Wut klingt in den Stimmen: Wie soll Mann jetzt noch Frauen ansprechen? Oder ist gerade diese Frage der „größte bull­shit ever“? Ist es so schwer zu merken, ob man zu weit geht?

Von der steil abfallenden Bühne rutschen vier Frauen und ein Mann in identischen Anzügen in den Abgrund. Sie sind spielunfähig, weil Adam (Vater aller Männer!) die eigene Geschichte abhanden gekommen ist. Schuld daran sind die Nebenfiguren, die Adams Heldenrolle infrage stellen. Anstatt sich jedoch selbst in den Mittelpunkt zu rücken, klagen sie nur über unfaire Machtverhältnisse. Eine Bestandsaufnahme?

Gürler arbeitet chorisch und choreografisch und lässt jeden Spieler in die Rolle Adams schlüpfen – schließlich geht es um Zuschreibungen, nicht um Individualität. Ein spannender Blickwinkel, doch der Text bleibt in Allgemeinplätzen stecken, die dann in eine große Gesinnungsansprache münden. Für ein Erklär-Seminar zur #MeToo-Debatte, das zeigt dieser Abend, braucht es kein Theater. Das können die Printmedien besser.

Die Israelin Yael Ronen geht es bei „Yes but No“ auf der Großen Bühne emotionaler an – und wird ihrem Ruf als Gruppentherapeutin mehr als gerecht. Und auch ihrem Talent, mit Wärme, Sprachwitz und Entertainment zu inszenieren.

Der Abend startet, man kennt das schon, mit einem komischen Monolog von Orit Nahmias, Ronens Alter Ego, die relaxt im Hotel-Bademantel an die Rampe tritt. Nach all den Traumata, sagt sie, die man am Gorki bearbeitet habe, Holocaust, Krieg in Jugoslawien, Genozid an den Armeniern, sei es Zeit, Visionen für eine bessere Zukunft zu entwickeln. Ihre Idee: „From domination to cooperation“ – von der Kultur der Herrschaft zur Kultur der Kooperation. Doch bevor das gelingen kann, muss die schmutzige Wäsche gewaschen werden.

Hier kommen die Kollegen ins Spiel, ebenfalls in Frottee gewickelt. Lindy Larsson singt mit glockenklarer Stimme über die Erinnerungen an den Missbrauch in seiner Kindheit, die er auszulöschen versucht. Gefolgt von den intimen Bekenntnissen der Darsteller, die, so funktioniert die Ronen-Methode, nicht eins zu eins erzählt werden, aber doch aus den Proben hervorgegangen sind. Die Spieler sprechen von kindlichen Körpererkundungen, von Masturbation, dem ersten Sex ­– und von Übergriffen, von Scham und Schuldgefühlen.

Auf der Bühne wird diskutiert: Ist #MeToo ein verdienter Pranger für die Schuldigen?

Bei dieser Fortführung der #MeToo-Bekenntnisse auf der Bühne spielt die Regisseurin auch mit der Betroffenheit der Zuschauer – und mit deren Voyeurismus, wenn Taner Şahintürk den Namen des Volksbühnen-Regisseurs nennt, der mit jungen Schauspielerinnen brutalen Sex geprobt haben soll: Johann Kresnik. Ein grenzwertiger Enthüllungsmoment, der als solcher auf der Bühne auch diskutiert wird: Ist #MeToo ein verdienter Pranger für die Schuldigen? Oder reine Vorverurteilung? Müssen einzelne Namen fallen – oder geht’s ums System?

Nachdem Svenja Liesau, deren Rolle am schwersten an Schmerz und Hass trägt, unter großem Getöse den Bühnenboden zerlegt hat, geht es zurück zur therapeutischen Übung. Man frage sich: Was macht mich sexuell an? Was geht mir zu weit? Warum sage ich nicht Stopp? Riah May Knight erklärt in einer souligen Nummer, welchen riesigen Unterschied es für eine höfliche Engländerin wie sie macht, das eindeutige Angebot eines Mannes mit „an interesting idea“ oder „not a bad idea“ zu beantworten.

Ohnehin sind es die vom Ensemble hervorragend performten Lieder des israelischen Songwriters Shlomi Shaban, die den Abend strukturieren und ihn zu einem berührenden, aber auch leichten Musical machen. Das sogar Ideen für eine glücklichere Beziehung zwischen den Geschlechtern anbietet. Im ersten Teil eine runde Mischung.

Nach der Pause allerdings werden die Zuschauer selbst zur Gruppentherapie geschickt. Jeder Schauspieler leitet einen Workshop mit Selbsterfahrungsspielchen an: Grenzen ausloten, Nein sagen lernen. Hier hat Frau Doktor Ronen die Tür zur Kunst am Ende doch noch mit der zur Praxis verwechselt.