berliner szenen
: Sehnsucht kommt am Sonntag

Als wäre es schon Herbst, sitze ich am Sonntagnachmittag im Raucherbereich meines Stammcafés. Nur wegen ein paar Wolken, und auch weil ich mich zu Hause kaum auf die Arbeit konzentrieren kann. Nun funktioniert die Internetverbindung im Café nicht, und ich habe nichts anderes zu tun, als die wenigen Menschen zu beobachten, die im Raum sitzen – die meisten sitzen draußen, kalt ist es noch nicht.

Zwei lesen ein Buch, zwei spielen Schach, eine trinkt Bier und schaut ins Leere vor sich hin. Ich frage mich, warum diejenigen, die nicht rauchen, sich trotzdem hier aufhalten: die Luft sehr schlecht, das Licht und die Musik düster.

Ich bekomme Sehnsucht nach Buenos Aires, was sonntags häufig vorkommt. Ich bekomme Lust, eine bestimmte Buslinie zu nehmen (die blaurote 29) und zu meinem dortigen Lieblingsviertel zu fahren. Auf den Straßen zu flanieren, eine Runde am Antiquariatsmarkt von San Telmo zu machen. Mein Cappuccino ist nicht mehr warm, das Stück Karottenkuchen bleibt unberührt. Ich habe keinen Hunger mehr.

Sonntag ist Sehnsuchtss­tag und der schlimmste Tag der Woche für Liebesleidende. „Du wirst am Wochenende den Mann oder die Frau deines Lebens treffen.“ S. kommt rein, zündet sich eine Zigarette an und fragt, ob ich eine kleine Spende hätte. Ich habe kein Kleingeld, aber sie kann 5 Euro wechseln. „Du bist die Einzige, die mir etwas gegeben hat“, sagt sie. „Noch“, antworte ich. Ich frage sie, ob sie Kuchen möchte. „Nein danke, ich muss weiterarbeiten.“ Ich nicke. Sie fragt, ob alles gut sei. Ja, lüge ich, und frage sie zurück. „Muss“, sagt sie und zuckt mit den Achseln. Ich klappe mein Laptop zu, bestelle ein Bier und ziehe nach draußen um.

„Scheiße, das Wochenende ist fast vorbei“, sagt mir ein Stammkunde. Ich lächle ihn an und trinke mein Bier.

Luciana Ferrando