Jetzt muss Jeremy Corbyn liefern

Britische Labour Party übernimmt internationale Antisemitismus-Definition. Debatte dürfte weitergehen

Für Corbyns Zusatzerklärung gab es keine Mehrheit im Parteivorstand

Von Ralf Sotscheck

Die britische Labour Party hat die Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz zum Gedenken an den Holocaust (IHRA) übernommen. Das entschied der 40-köpfige Parteivorstand am Dienstagabend nach stundenlangen Diskussionen. Bisher hatte man zwar die Definition akzeptiert, aber vier der elf Fallbeispiele abgelehnt. Sie würden eine legitime Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern unmöglich machen, lautete die Begründung.

Marie van der Zyl, die Präsidentin des Deputiertenrates der britischen Juden, sagte, die Übernahme der Definition sei der richtige Schritt. „Er ist längst überfällig“, fügte sie hinzu, „und es ist bedauerlich, dass Labour den ganzen Sommer darauf verschwendet hat, den Juden diktieren zu wollen, was für uns eine Beleidigung ist.“

Die Labour-Hinterbänklerin Margaret Hodge sagte, Parteichef Jeremy Corbyn müsse beginnen, das Vertrauen wieder aufzubauen und die Wunden zu heilen, die durch den Antisemitismusstreit in der Partei entstanden seien. Hodge hatte Corbyn im Unterhaus als „antisemitischen Rassisten“ beschimpft. Das deswegen eingeleitete parteiinterne Disziplinarverfahren gegen sie ist eingestellt worden.

Corbyn, der sich sein ganzes politisches Leben gegen Rassismus und für den Schutz von Minderheiten eingesetzt hat, wollte am Dienstag eine Zusatzerklärung vom Vorstand absegnen lassen. Darin wollte er unter anderem feststellen lassen, dass es nicht antisemitisch sei, Israels Politik sowie die Umstände der Staatsgründung als rassistisch zu bezeichnen. Dafür gab es jedoch keine Mehrheit im Parteivorstand, und so zog er die Erklärung zurück. Dass die Antisemitismus-Debatte in der Labour Party nun ad acta gelegt werden kann, ist zu bezweifeln. Viele sehen es lediglich als pragmatische Entscheidung und weisen auf die Erklärung des Parteivorstands hin, worin das Recht auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf Israel bestätigt wird.

Die Akzeptierung der IHRA-Definition könne nur ein Anfang sein, sagt der Schriftsteller und Soziologe Keith Kahn-Harris, der als Lehrbeauftragter am Institut für jüdische Politikforschung arbeitet. Die Partei müsse ein disziplinarisches Prozedere für den Umgang mit Antisemitismus entwickeln. Die jüdische Gemeinde sollte aber mit Labour im Gespräch bleiben. Corbyn könnte künftig Premier werden.

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